Eine Geschichte über Inge erwürgen

GEMEINSAMES Im Literarischen Colloquium tagten 20 Musiker und Schriftsteller über Fragen von Songwritertum und Text

Vor der malerischen Terrasse schimmert der Wannsee möglichst inspirierend im Abendlicht. Denn drinnen soll es der Kreativität an den Kragen gehen: Eine Podiumsdiskussion zum Thema „Texte & Töne“ hatte das in der schnieken Wannsee-Villa ansässige Literarische Colloquium Berlin (lcb) am Donnerstag Abend anberaumt, mit 20 MusikerInnen und SchriftstellerInnen, die eine zweitägige Gesprächsklausur hinter sich hatten. Von Mittwochmorgen mit einer kurzen Nachtschlafunterbrechung bis Donnerstagabend diskutierten, jammten, verglichen, kicherten und soffen schreibende und/oder musizierende Menschen wie Frank Spilker, Francesco Wilking, Jan Böttcher und David Wagner, Cora Frost und Christiane Rösinger, Robert Gwisdek und Retrogott, Tilman Rammstedt und Monika Rinck, Lisa Bassange und Susanne Heinrich mit- und gegeneinander.

Auszuloten, wie ein Spannungsfeld zwischen Musik und Text aussehen könnte, war also das Thema des angekündigten Panels. Doch der Hamburger Moderator und Songwriter Bernd Begemann, selbst ein Mensch mit viel Text, macht es vor dem kleinen, gut gefüllten Saal kurz: Man habe an den vergangenen Tagen bereits dermaßen viel geredet, dass man sich entschlossen habe, den Worten Taten folgen zu lassen, und lieber eine teils musikalische, teils literarische Gala auf die Beine stellen werde.

Das ist zwar eigentlich erfrischend für die Gäste, die so um möglicherweise ermüdende Theoretisierungen herumkommen. Allerdings muss man sich Erkenntnis selbst schnitzen: Wo sind denn nun die Unterschiede zwischen literarischem und „musikalischem“ Schreiben? Was muss man bei den Dramaturgien beachten? Ähnelt das Dichten dem Songtexten mehr als das Romanschreiben? Wie schaffen es Freestyler wie Retrogott oder der in jedem seiner Künste außergewöhnliche Schauspieler/Musiker/Autor Robert Gwisdek, spontan und live minutenlang Litaneien auf den Beat abzustimmen?

Auch ein Disput

Mögliche Antworten versuchen die TeilnehmerInnen in Hardfact-Währung zu geben: So interpretieren Francesco Wilking und Moritz Krämer Wilkings Song „Die Zukunft liegt im Schlaf“, was herrlich ist, Cora Frost erwürgt zu den Beats von Retrogott leidenschaftlich eine Geschichte über Inge, die zu viel isst, Spilker singt einen Song von der neuen Sterne-Platte, Jan Böttcher singt, Dota und Kat Frankie haben den zweistimmigen Refrain zu einem kleinen Romantikgespinst geprobt, Gwisdek rappt, Retrogott rappt, Rösinger liest und singt später noch gemeinsam mit David Wagner.

Am meisten Ähnlichkeiten in der Relevanz von Rhythmus und Vortrag kommt – auf Schriftstellerseite – bei Rammstedt wie aus der Konfettipistole geschossen und bei Rincks Gedichten aufs Parkett: Hier hört man tatsächlich, worüber bestimmt viel gestritten wurde – Vers versus Inhalt, das Spiel mit den Worten. Begemann greift in einer Zwischenmoderation kurz das Thema „Reim“ auf und lässt durchblicken, dass über das „Manipulieren durch den Reim“ ebenfalls einige Gedanken getauscht wurden. Anscheinend gab es sogar so etwas wie einen Disput darüber, ob das Singen in Englisch nun besser, schlechter oder schnurzpiepe ist.

„Spannend“ habe er die Idee gefunden, SchriftstellerInnen und MusikerInnen zusammenzubringen, erklärt zudem Thorsten Dönges vom lcb, der die beiden Tage gemeinsam mit Milena Fessmann gut gelaunt und zuversichtlich als Gesprächsleitung begleitete.

Ausgelöst worden sei sie durch das allseits bekannte Phänomen, dass einem Textzeilen ewig im Kopf blieben – genau wie Buchzeilen. Das stimmt zwar, aber „spannend“ ist trotzdem schon lange die kleine Schwester von „unkonkret“. Und das machte die literarisch-musikalische Nummernrevue am Wannsee zwar zu einem unterhaltsamem, aber eher spärlich erhellendem Abend. JENNI ZYLKA