Fundstücke
: Ich und der Dichter

Nur wenige Spitzenkulturhengste genießen diese Privilegien

Im Jonas auf der Roten Insel klirrten die Bierhumpen. Außerhalb meines Blickwinkels stolperte der Wirt mit dem Phantomschmerz und dem Wolfgang-Petry-Bärtchen über den nicht vorhandenen Läufer, oder er verlor, abgelenkt von zwei blondierten, ansehnlichen Rockerinnen, die Kontrolle über sein Tablett. Das Ergebnis war, so oder so, prosaisch: Wir mussten länger auf die nächste Runde warten.

Ich hatte mich mit einem Großdichter verabredet, einem lebenden Oxymoron oder Axolotl: Er schrieb in seinen Gedichten die Weltrevolution – auf zugegeben verklausulierte Weise – herbei, und die Feuilletons der rechten Presse jubelten ihn in den Olymp, sie hielten wohl alles für Ironie oder verstanden nicht die Bohne, druckten seine Texte, als wäre sie chinesische Staatsanleihen. Eine Zeitung offerierte ihm „Privilegien, die sonst nur wenigen Spitzenkulturhengsten zuteil werden“, wie er sagte. „Sie können“, versicherte ihm ein hochstehender Redakteur, „den US-Botschafter im Schlafanzug treffen oder mit Merkel in die Semper-Oper gehen: Solange Sie ein politisches Gedicht für uns verfassen.“ Er lachte und sagte, „klar schreibe ich für sie, aber ich spare mir den Amerikaner auf Zehenspitzen und die Kanzlerin nach Dienstschluss“.

Es gab eine leise Sympathie zwischen dem Großdichter und mir – obwohl wir uns vorher nur zwei-, dreimal über den Weg gelaufen waren. Aber der behäbige Zungenschlag, der uns beide als inländische Südländer auswies, eine gewisse Nachlässigkeit mit dem Alkohol, eine anderen nicht zu vermittelnde Freude an wirren Fügungen und nicht zuletzt ein Haufen gefundener Fotos verbanden uns.

Die Luft war zum Schneiden dick. Wir saßen auf einer Empore im Hinterzimmer des Lokals, dem Wirt war es nicht möglich, den Blickkontakt zu uns zu halten. Dennoch brachte er auf die Sekunde genau die Folgerunden.

TIMO BERGER