Zwillinge für 90 Minuten

Palästinensische und israelische Jugendliche treffen sich auf „neutralem“ Terrain bei Jerusalem, um Fußball zu spielen. Der arabische Trainer kommt allerdings nicht immer durch den Kontrollpunkt

„Das Fußballspielen ist eine andere Sprache zur Verständigung“

AUS JERUSALEM BEATE SEEL

Der Fußballplatz bietet einen traurigen Anblick. Die ehemals weiß gestrichenen Metalltore rosten vor sich hin, die Netze sind zerrissen. Das Gras wächst spärlich. Auf der einen Hälfte des Platzes steht das Wasser knöchelhoch, weil ein Wasserrohr gebrochen ist. Doch die etwa fünfzig palästinensischen und israelischen Jungen, die während des Schuljahres regelmäßig gemeinsam und in gemischten Mannschaften Fußball spielen, ficht das nicht weiter an. Das Spielfeld liegt jeweils auf „neutralem“ Gebiet – also nicht in den Wohnorten der Kinder; die Israelis können nicht ins Westjordanland fahren. Heute liegt das neutrale Terrain vor dem Kibbuz Ramat Rachel bei Jerusalem.

Die Idee für dieses grenzübergreifende Projekt stammt vom Peres Center for Peace in Tel Aviv, das 1996 von dem israelischen Politiker und Träger des Friedensnobelpreises, Schimon Peres, gegründet wurde. Gal Peleg, der das Sportprogramm des Zentrums leitet, geht es darum, dem „Feind“ ein Gesicht zu geben. „Für die Palästinenser sind die Israelis Soldaten und für die Israelis sind die Palästinenser Terroristen“, sagt er. „Aber beide können Fans der gleichen Fußballspieler sein. Das Fußballspielen ist auch ein Instrument, eine andere Sprache zur Verständigung.“ Palästinensischer Projektpartner ist das Al-Quds-Zentrum für Demokratie in Ostjerusalem.

An diesem kühlen Spätnachmittag versammeln sich die palästinensischen und israelischen Jungen an getrennten Ecken des Spielfeldes, um sich umzuziehen. Die 25 Palästinenser aus Jaba und Al Khadr bei Bethlehem sind heute ohne ihren Trainer angereist, der am Checkpoint nicht durchgelassen wurde.

Untereinander sprechen die Kinder meist Hebräisch, weil die meisten Israelis kein Arabisch können. „Beim Fußball können wir uns auch ohne Worte mit Gesten verständigen,“ sagt der 12-jährige Chanan mit einer grünen Kippa, der Kopfbedeckung der religiösen Juden, die beim Kicken manchmal runterfällt. Selbstbewusst und redegewandt erläutert er, warum er die „Zwillingsteams“, wie das Projekt heißt, für eine gute Idee hält: „Wenn man sich nicht anders verständigen kann, kann man es über den Sport versuchen.“ Mit den Palästinensern habe er keine Probleme, „höchstens auf der Straße“. Selbstverständlich will Chanan Fußballspieler werden, auch wenn das mit Problemen verbunden ist, weil viele Spiele am Samstag, dem jüdischen Feiertag stattfinden.

Der gleichaltrige Ahmad zögert bei der Beantwortung der Frage, ob er einen israelischen Freund habe. Sein jüngerer Cousin Mahmud mischt sich ein und sagt: „Doch, du hast einen!“ Die Kontakte sind jedoch auf die sportlichen Begegnungen beschränkt. Alles andere sei zu kompliziert. Für Ahmad, der im Tor steht, sind die Fahrten zu den Spielplätzen auf den neutralen Gebieten ein Erlebnis. Israel gefällt ihm. „Aber Palästina ist sehr schön“, fügt er schnell hinzu.

Inzwischen haben die jüngeren Kinder mit ihrem Spiel begonnen. Obwohl sie alle zu Hause regelmäßig trainieren und feste Positionen in der Mannschaft einnehmen, stürzen alle dem Ball hinterher. Das Spiel endet unentschieden, 1:1. Doch ganz ohne Probleme geht es auch bei den Zwillingsteams nicht ab. Und da landet man trotz gutem Willen schnell wieder bei der großen Politik, etwa den zahllosen Reisebeschränkungen, denen die Palästinenser unterliegen. Wenn die jungen Fußballspieler am Checkpoint sagen, dass sie im Rahmen des Peres-Zentrums unterwegs sind, berichtet Wael Salameh vom Al-Quds-Zentrum, werden die israelischen Soldaten ganz freundlich. Aber die Jungen wissen genau, dass das bei der nächsten Fahrt mit ihren Eltern wieder anders sein kann.

Und an manchen Tagen haben einige der Palästinenser keine Lust, mit den Israelis zu spielen. Vor allem dann, wenn sie im Fernsehen Bilder einer israelischen Militäraktion im Gaza-Streifen mit Toten sehen. „Dann müssen wir sie schon überzeugen“, sagt Salameh. „Wir erklären ihnen, worum es geht und dass es auch gewaltfreie Wege gibt, sich für seine Ziele einzusetzen.“ Aber oft genug, sagt er, hören sie zu Hause oder auf der Straße etwas anderes.