Kleinere Packung, gleicher Preis

Egal was die Unternehmen verkünden: Die Verbraucher können davon ausgehen, dass der Großteil der Mehrwertsteuererhöhung bei ihnen landet

VON BEATE WILLMS

Der Werbespot des Autobauers Škoda spricht Bände: Da erscheint die Mehrwertsteuererhöhung als zotteliges braunes Monster in Gestalt einer riesigen 19, das es furchtlos als Schimäre zu entlarven gilt. „Die 19 Prozent kann keinen mehr schocken“, heißt es aus dem Off. Betrachtet man jedoch den Aufwand, den die Marketingstrategen von Škoda und anderen Unternehmen in den letzten Monaten betrieben haben, um genau diese Botschaft zu vermitteln, klingt die selbstbewusste Äußerung mehr nach Mutmachen. Und das aus gutem Grund.

Konkrete Erfahrungen fehlen. Bei ihrem gemeinsamen Herbstgutachten haben sich die sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten geweigert, ein detailliertes Szenario der möglichen Auswirkungen zu entwerfen. Tatsächlich ist die Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte von 16 auf 19 Prozent die höchste Steigerung, die es in Deutschland je gab. Bei den bisherigen Erhöhungen ging es jeweils nur um einen Prozentpunkt. 20 Milliarden Euro Mehreinnahmen soll die radikale Maßnahme Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) einbringen. Insgesamt dürfte der Staat damit im kommenden Jahr 170 Milliarden Euro aus dieser Quelle kassieren – ein Drittel aller für 2007 geplanten Steuereinnahmen.

In der Wirtschaft wirkt dabei noch der Schock der Euro-Umstellung von 2002 nach. Damals nutzten viele Unternehmen die Gelegenheit, die Preise aufzurunden. Das machte die ohnehin unsicheren Verbraucher noch misstrauischer, als sie ohnehin schon waren. Vergrätzt traten die potenziellen Käufer in einen fast drei Jahre andauernden Konsumstreik. Damit so etwas nicht noch einmal passiert, laufen sowohl die Marketingabteilungen der Firmen als auch Unternehmensberatungen, die sich auf Preisstrategien spezialisiert haben, seit Monaten heiß. Die grundsätzliche Frage lautet dabei: Sollen wir die Erhöhung an den Verbraucher weitergeben – oder besser nicht?

Die Antwort ist nicht immer ganz freiwillig, schließlich sind nicht alle Firmen gleich betroffen – und sie haben auch nicht gleich viel Spielraum. Kommen sie aus Branchen mit hohem Auslandsanteil, können sie die Erhöhung lockerer wegstecken, als wenn sie ihren Umsatz vor allem im Inland machen. Ähnliches gilt für Unternehmen, die hauptsächlich mit Geschäftskunden arbeiten. Denn diesen ist die Erhöhung weitgehend gleichgültig: Sie holen sich die gezahlte Mehrwertsteuer später ohnehin über den Vorsteuerabzug vom Finanzamt zurück.

Schwerer wird es für Firmen, die direkt an die Endverbraucher verkaufen und zudem in Branchen agieren, in denen hoher Wettbewerbsdruck herrscht. Sie müssen die höhere Mehrwertsteuer wieder reinholen – entweder über höhere Verkaufspreise beim Verbraucher oder über niedrigere Einkaufspreise bei den Zulieferern.

Während viele Unternehmen die ersten Wochen abwarten wollen, sind andere längst in die Offensive gegangen. C & A und Aldi etwa haben angekündigt: „Die Mehrwertsteuererhöhung übernehmen wir.“ C & A will die Preisentwicklung sogar von einer unabhängigen Firma kontrollieren lassen. Andere Unternehmen wie Ikea haben erklärt, die höheren Steuern voll weiterzugeben, indem sie alle Preise um 2,59 Prozent erhöhen. „Das ist sauber und transparent“, heißt es.

Letztlich jedoch ist davon auszugehen, dass die allermeisten Firmen auf Mischkalkulationen setzen. Hans-Joachim Körber, Vorstandschef bei Metro, etwa erklärt: „Bei uns gibt es kein einheitliches Verfahren nach dem Motto: Alle Preise steigen um x Prozent.“ Bei einer Million unterschiedlicher Artikel müsse es eine ganze Reihe unterschiedliche Lösungen geben, die beispielsweise berücksichtigten, dass Käufer Preise auf 9 oder 99 Cent bevorzugten.

Für zusätzliche Verwirrung bei den Verbrauchern sorgt, dass einige Unternehmen nicht nur werbetechnisch vorgeprescht sind, sondern auch die Mehrwertsteuererhöhung mit höheren Preisen praktisch schon vorweggenommen haben – zu einer Zeit, als die Kunden noch weniger aufmerksam waren, als sie es ab Januar sein werden. Die Verbraucherzentrale Hamburg listet auf ihrer Webseite eine ganze Reihe von Produkten auf, die zuletzt ohne weiteren Anlass bereits um bis zu 50 Prozent teurer wurden. Berechnungen der Financial Times Deutschland zufolge waren im Oktober 12 Prozent einer potenziellen vollständigen Überwälzung der Erhöhung beim Verbraucher angekommen. Im November waren es schon 25.

Einen ähnlich vernebelnden Effekt haben Tricks wie verkleinerte Packungsgrößen, verringerte Inhalte bei gleich bleibendem Preis oder Rabattaktionen. Viele Händler werben bereits jetzt damit, die Mehrwertsteuer zu übernehmen. Im Januar dürften weitere Angebote folgen. Metro-Chef Körber behauptet deshalb auch schon, dass ein „rationaler Verbraucher“ sein neues Auto Anfang 2007 kaufen müsse. „Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er dann mit Rabatten trotz höherer Mehrwertsteuer weniger zahlen muss als im letzten Quartal 2006, wo alle kaufen.“ Verbraucherschützer gehen allerdings davon aus, dass die neuen Rabatte nur alte ablösen und letztlich nicht zu geringeren Preisen führen.

Die Verbraucher können also davon ausgehen, dass der Großteil der Mehrwertsteuererhöhung über kurz oder lang bei ihnen landet. Die Unternehmensberatung Sepora aus Bad Homburg kam nach einer Umfrage zu dem Schluss, dass die Endkunden 48 Prozent der Lasten zu tragen haben werden, während die Industrie 30 und der Handel 22 Prozent übernehmen müssen. Das entspräche auch den Erfahrungen der letzten Mehrwertsteuererhöhung um 1 Prozentpunkt im Jahr 1998. Nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums entfiel knapp die Hälfte der Belastung auf private Verbraucher.

Das wiederum wird nicht ohne Auswirkungen auf die Konjunktur bleiben, auch wenn sich die Experten darüber streiten, wie groß dieser Effekt sein wird. So prophezeit die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen „negativen Effekt von ungefähr 0,25 Prozentpunkten auf das Wachstum 2007“. Nach Ansicht des OECD-Deutschland-Experten Andres Fuentes stellt das kein sehr großes Problem dar, weil „wir für 2007 ohnehin einen kräftigen Aufschwung erwarten“. Der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunktur, Gustav Horn, befürchtet dagegen „einen massiven Blechschaden, der sich nicht so rasch wieder reparieren lässt“.

Die Erfahrungen in anderen Ländern scheinen diese pessimistischere Einschätzung zu stützen: 1991 stieg die Mehrwertsteuer in Großbritannien um 2,5 Prozentpunkte – und stürzte die Wirtschaft in solche Schwierigkeiten, dass das Land sich aus dem damaligen Europäischen Währungssystem, also der Vorstufe der Gemeinschaftswährung Euro, verabschieden musste. Und auch in Japan führte eine Erhöhung um 2 Prozentpunkte 1997 zu einer lang anhaltenden Stagnation.