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„Einfach drauflos fragen“

ERINNERUNG Eine junge Filmemacherin nähert sich dem verstorbenen Polit-Filmer Jens Huckeriede

Ann Kimminich

■ 31, hat Anglistik, Germanistik und Medienwissenschaften studiert und volontiert jetzt beim freien Sender Tide TV.

taz: Frau Kimminich, heute wird Ihr Interview mit dem linken Polit-Filmer Jens Huckeriede gezeigt, der Ende 2013 starb. Wann sprachen Sie ihn zuletzt?

Ann Kimminich: Im November 2013. Er gab mir auf meine Bitte hin ein altes Foto aus seiner Zeit als Erzieher. Auf dem Bild schaut er in die Kamera, als ob er noch nicht genau wüsste, wo es hingeht. Er fand, das spiegele gut wider, wie er das Leben sehe.

Er war nicht immer Filmer.

Nein. Er hat mir mal erzählt, dass er eines Morgens aufwachte und wusste, dass er filmen wollte. In dem Kinderhaus, in dem er als Erzieher tätig war, arbeitete auch das einstige RAF-Mitglied Astrid Proll, um mit Kindern zu filmen. Er fragte sie, wo er das Filmemachen lernen könne, und sie verwies ihn an das Filmkollektiv „die thede“.

Warum konzentrierte sich Huckeriede in seinen Filmen so stark auf Judentum und Shoah?

Einerseits aufgrund des Schweigens der Erwachsenen in der Nachkriegszeit, das seine Kindheit prägte. Der andere Zugang verlief über die Häuser, die Sternipark – sein Arbeitgeber – für Kindertagesstätten anmietete. Viele von ihnen hatten jüdische Vorbesitzer. Die Geschichten dieser Orte interessierten ihn.

Haben Sie ein Beispiel?

Er hat unter anderem einen Film über die Villa Guggenheim an der Rothenbaumchaussee gedreht, deren Besitzer vor den Nazis nach Brasilien flohen.

Sein letzter Film „Sound in the Silence“ dokumentiert ein Jugend-Tanzprojekt im einstigen KZ Neuengamme. Fand er es bedrückend, dort zu arbeiten?

Nein. Er fand es gerade für junge Leute richtig, sich diesem Ort gemeinsam mit Künstlern und Tänzern zu nähern. Er wollte, dass man sich erinnert, ohne sich ständig schlecht zu fühlen.

Wo entstand der Film, den Sie heute vorstellen?

Der 24-minütige Film, ein Ausbildungsprojekt bei Tide TV, entstand teils in seiner Wohnung, teils in den Straßen von St. Pauli. Es ist ein Mix aus Interviewpassagen und Filmausschnitten.

Wie ist Ihnen Huckeriede, der sonst hinter der Kamera stand, als Interviewpartner begegnet?

Er war offen, entspannt und hat mir als Anfängerin das gute Gefühl vermittelt, dass ich einfach drauflos fragen kann. Das war auch sein eigenes künstlerisches Credo: Einfach anfangen, weil es wichtig ist, dass man es tut. INTERVIEW: PS

Vernissage der Ausstellung über die Dreharbeiten zu Jens Huckeriedes „Sound in the Silence“ samt Filmvorführung: 19 Uhr;

Premiere von Ann Kimminichs „Werkinterview“-Film: 20.30 Uhr , Augustinum, Neumühlen 37

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