Wähler wollen mehr Macht

Mit 38 Bürgerbegehren haben die Bürger im vergangenen Jahr versucht, in die NRW-Kommunalpolitik einzugreifen. Allerdings kamen sie damit nur jedes zweite Mal durch

VON JULIA GROTH

Landesweit klagen Politiker über die Politikverdrossenheit der Bürger. Kommunalpolitiker in Arnsberg dürften das derzeit etwas anders sehen: Dort mischen sich die Bürger kräftig in ihre Arbeit ein. Eine Elterninitiative hat Mitte November ein Bürgerbegehren für bessere Kinderbetreuung gestartet. Weil die Stadt im Sommer dieses Jahres die Kindergartenbeiträge erhöht hat, fordern die Mitglieder des Vereins „Arnsberger Kinder“ mehr Betreuungspersonal für Kindergärten und Grundschulen. „Wenn es schon höhere Beiträge gibt, soll das Geld wenigstens direkt den Kindern zugute kommen und nicht dazu verwendet werden, Haushaltslöcher zu stopfen“, sagt Vereinsmitglied Horst Pullich. Noch bis Anfang Februar wollen die erbosten Eltern Unterschriften für ihr Anliegen sammeln und es dann in den Stadtrat tragen.

Wie die Arnsberger haben es in diesem Jahr 38 andere Initiativen in NRW gemacht. Stadträte und Kreistage haben jedoch fast jedes zweite der vorgelegten Bürgerbegehren für unzulässig erklärt. „Verheerend“ nennt der NRW-Landessprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, Thorsten Sterk, diese Bilanz.

Um ihr Bürgerbegehren im Rat vorbringen zu können, benötigt die Arnsberger Elterninitiative rund 3.700 Unterschriften, das sind sechs Prozent der Wahlberechtigten in der Kommune. Je nach Größe einer Gemeinde schwankt die Höhe dieser Unterschriftenhürde in NRW zwischen drei und zehn Prozent. Wenn der Stadtrat das Bürgerbegehren ablehnt, kommt es zum Bürgerentscheid. Dabei können alle stimmberechtigten Wähler der Stadt über das Anliegen abstimmen. Wenn die Mehrheit, die mindestens zwanzig Prozent aller Stimmberechtigten ausmachen muss, dafür stimmt, ist der Bürgerentscheid gültig: Die Arnsberger Kinder würden mehr Betreuer bekommen.

„Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind eine wichtige Ergänzung zu Wahlen, die nur alle vier Jahre stattfinden“, sagt Sterk. Allerdings habe die direkte Demokratie in NRW im Vergleich zum vorbildlichen Bayern einen schweren Stand. Tatsächlich ist es bei vielen Themen gesetzlich von vornherein ausgeschlossen, ein Bürgerbegehren auf den Weg zu bringen. Bauangelegenheiten beispielsweise können davon kaum beeinflusst werden. „Man traut dem Bürger nicht über den Weg“, so Sterk. Auch dass Bürger einen Vorschlag einreichen müssen, wie mögliche Kosten ihres Begehrens für die Kommune finanziert werden sollen, stelle oft ein Problem dar. Das Verfahren sei manipulationsanfällig, sagt Sterk. „Der Bürgermeister muss nicht beweisen, dass seine Zahlen stimmen.“

Einige Bürgerbegehren waren 2006 trotz allem erfolgreich. In Erkelenz sammelte die dortige Bürgerpartei zirka 7.200 Unterschriften, fast 5.000 mehr als benötigt, gegen die Sperrung des Markplatzes für Autos. Der Stadtrat stimmte dem Anliegen zu, ein Bürgerentscheid war nicht mehr nötig. Anders dagegen in Schwerte. Dort kämpfte im Sommer eine Bürgerinitiative für den Erhalt eines Schwimmbads. Erst wurde das Bürgerbegehren im Rat abgelehnt, wenig später scheiterte auch der Bürgerentscheid. Die Mehrheit der Wähler stimmte dafür, das Bad zu schließen. Dass die Mittel direkter Demokratie aber auch für zweifelhafte Anliegen in Anspruch genommen werden können, zeigt sich zurzeit in Köln. Dort sammelt die rechtsextreme Organisation „Pro Köln“ Unterschriften gegen zwei geplante Moscheen.

Nicht nur deshalb sehen kommunale Spitzenverbände wie der Städtetag Nordrhein-Westfalen Bürgerbegehren eher kritisch. Der Städtetag, eine Interessenvertretung von vierzig Städten in NRW, lehnt strikt ab, mehr Angelegenheiten als bisher für Bürgerbegehren freizugeben. Man erachte es nicht für sinnvoll, heißt es in einer Erklärung. Von der Bürgerbeteiligung sollen keine Themen ausgeschlossen werden, fordert dagegen der Verein Mehr Demokratie. Horst Pullich von der Arnsberger Elterninitiative sieht das ähnlich: „Eltern und Kinder stehen der Politik sonst hilflos gegenüber.“