Trennt den Müll, stürzt das System

Eva Jantschitsch mag scharfe politische Statements, die sie unter ihrem Künstlernamen Gustav zu elektronischem Getacker, aber auch mit dem Akkordeon vorträgt. Übermorgen wird sie das Neujahrskonzert in der Volksbühne spielen. Ein Porträt

VON SONJA EISMANN

Als vor gut zwei Jahren die erste Gustav-Platte auf einem kleinen österreichischen Label namens Mosz erschien, konnte noch keiner ahnen, dass dieses elektronische Protest-Songwriting einer jungen Wahlwienerin unter falscher männlicher Namensflagge so vernehmliche Wellen schlagen würde. „Rettet die Wale“ war von Spex bis NZZ ein kleiner, gänzlich unerwarteter Überraschungserfolg.

Das Album der Kunsthochschulabsolventin passte mit seinem Instrumenten-Sammelsurium von Computer über Flöte bis Akkordeon, seiner Bandbreite von klassischem Songwriting bis zu elektronischem Getacker und seinen mehrsprachigen Texten mit den poetischen und doch eindeutig politischen Statements haarscharf zwischen alle Stühle. Und genau das saß. Gustav, die in Wirklichkeit Eva Jantschitsch heißt – ihr Vater hatte sich immer einen Sohn gewünscht und Eva daher bis zum Alter von drei Jahren mit „Gustav“ angesprochen –, hatte schon früher in Bands gespielt. Aber irgendwann war es ihr zu dumm, die Ausnahmefrau vor den Bandmännern im Hintergrund zu mimen. Mit einem Arsenal an Geräten, Instrumenten und Spielzeug-Musikalien zog sie sich in ihr Wohnzimmer zurück und lehrte sich selbst.

Der Begriff Dilettantismus ist daher für sie ein freundliches Schwert: „Dilettantismus beschreibt für mich eher die Art, wie man/frau an eine Sache herangeht, und weniger das, was dabei herauskommt. Ich habe als Laiin und Amateurin angefangen Musik zu machen, hatte und habe noch immer nicht vollendete Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der Musikproduktion. Trotzdem habe ich eine Platte produziert und lebe inzwischen von meiner Musik. Insofern stört mich der Begriff nicht wirklich.“ Dass Songzeilen wie „Rettet die Wale / und stürzt das System / und trennt euren Müll / denn viel Mist ist nicht schön“ gerne als ironische Abrechnung mit linkem Do-Goodism geführt werden, quittiert die Multiinstrumentalistin mit einem verschmitzten, achselzuckenden „So funktioniert womöglich Popmusik“.

„Gängige Maßstäbe“ interessieren Jantschitsch sowieso nicht. Kritiker, die ihren Stücken mit dem weichen Gesang und der schwelgerisch aufbrausenden Instrumentierung Naivität, sogar einen gewissen Kitschfaktor attestieren, lassen sie kühl. „Was an einem Computer, einem Akkordeon, einer Geige und einem Keyboard naiv, süß und kitschig sein soll, weiß ich auch nicht. Ich versuche die Musik zu machen, die mir gefällt und mich herausfordert.“ Überhaupt lässt sich die Musikerin, deren Stimme außerhalb ihrer hell besungenen Lieder ganz anders, nämlich tief und voll klingt, nicht so schnell beeindrucken. Weder vom Presseecho, das sich über die lang vermisste Politisierung im schwärmerischen Elektronik-Gewand wunderte bis freute; noch von den Huldigungen ihrer neuen Fans, die ihr mit einer sonst nur für vermeintlich verrückt-fragile Independent-Stars wie Cat Power reservierten Ehrfurcht begegnen.

Nach einem Konzert in Köln zum Beispiel drängeln sich linkische Männer um die 40, die vermutlich sonst oft mit gebückten Schultern in den Improv-Fächern von A-Musik wühlen, zu Gustav vor, um verzückt ihre Huldigungen darzureichen. „Ein … ein ganz wunderbarer Abend, wie kann ich nur … Danke!“ Jantschitsch nimmt die fast gestammelten Danksagungen mit gelassener, aufrichtiger Freundlichkeit zur Kenntnis. Alle Versuche, sie als Projektionsfläche zu instrumentalisieren, prallen jedoch an ihr ab.

„Politischen Aktivismus halte ich für äußerst wichtig“, sagt Jantschitsch dann aber auch wieder ohne zu zögern. In Wien bewegt sie sich in einem losen, aber sehr produktiven Netzwerk einer linken, feministischen Kunst-Boheme. Ihre subtilen Texte über Polizeistaat, Konsum und Globalisierung artikulieren zugleich ein Unbehagen an saturierter Szene-Lethargie, ohne den HörerInnen die Kritik mit dem Knüppel um die Ohren zu dreschen.

Institutionell vereinnahmen lässt sich Jantschitsch trotzdem nicht. Sie gilt als medienscheu: Als Gustav 2005 den vom renommierten Jugendradio FM4 gestifteten alternativen österreichischen „Amadeus Award“ gewinnt, nimmt die Musikerin ihn mit einem knappen Tocotronic-Zitat entgegen: „Aber hier leben, nein danke.“ Schließlich spielt sich die Verleihung in einer Ära ab, in der Österreich von einer rechtspopulistischen Koalition regiert wird, gegen die sich Jantschitsch immer verwehrt hat – „We Shall Overcome“, der Opener von „Rettet die Wale“, lässt sich auch so lesen.

Andere Sachen sind dagegen wichtig. Mit ihrem Nebenprojekt Agenda Lobkov, in dem Jantschitsch und Verena Brückner Akkordeon spielen und singen, werden die „working women“ mit „feminist tunes“ bedacht. Hier wird explizit die fast vergessene Tradition des Abtreibungssongs hoch gehalten. Wenig nostalgisch, wenn man bedenkt, dass in Deutschland der Schwangerschaftsabbruch auch heute noch nach geltender Gesetzeslage rechtswidrig ist und in Wien Frauen auf dem Weg in Abtreibungskliniken von geifernden Pro-Lifers beschimpft werden.

Die geplante Agenda-Lobkov-Platte, die schon in Produktion war, wird es aber leider nicht geben: „Nicht alles, was live unterhaltsam ist, ist auf Platte gut und umgekehrt.“ So gänzlich uneitel kann man Projekte auch zur Seite legen. Dafür arbeitet Gustav mittlerweile an ihrem zweiten Album, das sie „gefürchtet“ nennt, die anderen, wir also, abgedroschen und freudig „sehnlichst erwartet“. Kommen wird es wahrscheinlich erst Ende 2007 – wenn alles glatt läuft. „Aber das tut es ja meistens nicht.“ Gut zu wissen, dass es immer noch ein Leben abseits von funktionierenden Zeitplänen gibt. Erst recht zum neuen Jahr.

Gustav spielt zusammen mit To Rococo Rot das diesjährige Neujahrskonzert in der Volksbühne, 1. 1., um 20 Uhr