Gier, für die ich mich genier

Völlerei für die Vereinskasse beim alljährlichen Schweinshaxen-Essen im Vogelsberg

Fleisch, nichts als Fleisch auf meinem Teller. Null Beilage – bis auf Senf und eine Schnitte Brot. Ein kulinarischer Ausnahmezustand. Rundum im proppevollen Zelt dasselbe auf den Tellern. Alle hier schaufeln riesige Schweinshaxen in sich hinein. Die ersten Esser gehen schon wieder, neue kommen ins Zelt und neue Haxen auf die Tische. Bauern und andere Dörfler mit Familien, die kräftige Landjugend, Biker und wer sonst so vorbeikommt, alle essen konzentriert, sonst passiert nichts. Laut und lärmig wird es erst, wenn die Musik ins Zelt kommt. Biere gehen um. Bei Bedarf auch Obstler. Den Schnaps werde ich brauchen, der Fleischberg will verdaut sein. Obschon merkwürdig, besuche ich möglichst regelmäßig dieses Fest. Und regelmäßig mache ich mir merkwürdige Gedanken. Etwa wie es möglich ist, dass ein Dorf von 280 Einwohnern sage und schreibe 1.200 Haxen unter die Leute bringt. Einmal im Jahr wird das kleine historische Backhaus eingeheizt. Nur zu diesem Zweck, der sich „Haxenessen“ nennt. Die Haxen gehen ratzfatz weg. Manche Leute tragen sie wannenweise weg. Sie feiern vermutlich ihr eigenes Haxenessen. Doch wenn ich Messer und Gabel zur Hand nehme, passiert etwas. Zuverlässig setzt die Trance ein. Der mythische Moment des Zerteilens. Das Fleisch aufschneiden. Der erste Bissen ist weltklasse, der zweite überirdisch. Entrücktes Kauen, Glücksgefühle, als wär’ die Beute jetzt mir, Fleischfassen bis zum Abwinken. Und jenseits aller Correctness. Aller Gesundheitsbedenken. Ist ja auch noch Schwein! Darf man das? Einmal waren Kameraleute dabei. Im Dorfgemeinschaftshaus wurde einige Zeit später ein ansehnlicher Film gezeigt. Die Vorbereitung guter Haxen dauert Wochen. Daran sind etliche Leute im Dorf beteiligt. Interessant das Gespräch mit den Initiatoren des Haxenessens. Es ist nämlich kein ländlicher Brauch aus Vorzeiten, als man vielleicht gemeinsam über ein erlegtes Mammut herfiel oder dergleichen, es war eine Idee der Freiwilligen Feuerwehr, um die Vereinskasse zu füllen. Völlerei für einen guten Zweck. Aber das soll jetzt keine Entschuldigung sein.

CHRISTEL BURGHOFF

Das Schweinshaxen-Essen findet jedes zweite Wochenende im September statt