Der Alptraum von Stonehill Gardens

VERDRÄNGUNG Ein Investor will die Tegeler Siedlung Am Steinberg modernisieren und teuer an solvente Käufer veräußern. Die Bewohner, die seit Jahrzehnten in den Häusern leben, können die Mietsteigerungen nicht mittragen und klagen an – auch den Bezirk

„Stadtrat Lambert hat dem Investor hier Tür und Tor geöffnet“

MIETERINNEN DER SIEDLUNG AM STEINBERG

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Die Kulisse in der Tegeler Siedlung Am Steinberg ist auf den ersten Blick perfekt: viel Grün, alte Bäume. Trotzdem wirkten Hartmut Lenz und die anderen drei Männer, die sich im Garten des 62-Jährigen versammelt haben, deprimiert: Sie, die hier seit vielen Jahrzehnten wohnen, sollen raus. Der Investor, dem die Siedlung seit 2010 gehört, will das Idyll zur Abschreibungsoase für Großbürger machen.

„Stonehill Gardens“ soll diese Oase heißen, wenn man den Immobilienmaklern glaubt, die im Netz bereits um Käufer für einzelne der Häuser werben. Tatsächlich heißt das denkmalgeschützte, 1920 erbaute Ensemble mit seinen vier Straßen und 62 Wohneinheiten „Kleinhaussiedlung am Steinberg“ – aber das klingt für solvente Interessenten zu piefig. In Maklersprache klingt das dagegen so: „Wohnen in seiner schönsten Form – sozusagen in Urlaubsatmosphäre –, davon profitieren Eigennutzer und Kapitalanleger in gleicher Weise.“

„Hier geht es im Grunde um ein Abschreibungsmodell, weil man bei der Sanierung von Baudenkmälern viel Steuern sparen kann“, sagen auch die Männer im Garten. Sie und die meisten anderen in der Siedlung befinden sich im Clinch mit dem Eigentümer, der „Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH“. Ein Mieter bekam etwa eine Abmahnung, weil er ein Planschbecken im Garten stehen hatte: Das verstoße gegen den Denkmalschutz, hieß es. Das einzige Haus der Siedlung, das der Eigentümer renoviert hat und das die Makler an den Wochenenden als Musterhaus vorzeigen – hat im Garten einen Pool.

Fristlos gekündigt

Doch die Abmahnung wegen des Planschbeckens ist noch harmlos. Lothar Kolbe etwa erzählt, ihm sei fristlos gekündigt worden. Unter anderem, weil er ein Plakat mit der Aufschrift „Wir bleiben hier“ ins Fenster gehängt habe.

Sollte es dem Eigentümer am Ende gelingen, die Mieter zu vertreiben, liegt das aber weniger an seiner Klagewut oder Maßnahmen wie der Fällung alter Bäume, sondern an den Modernisierungsvorhaben. Durch sie werden die bislang sehr günstigen Mieten – viele wohnen hier in der dritten oder vierten Generation – drastisch steigen. Etwa im Fall der 80-jährigen Edith Franke. Ihr Reihenendhäuschen kostet sie derzeit 334,62 Euro Miete. Nach der ihr angekündigten Modernisierung, die die energetische Effizienz verbessern, aber auch die Wohnfläche vergrößern soll, müsste sie nach eigenen Angaben 1.667,54 Euro im Monat bezahlen. Völlig undenkbar für Franke– weshalb sie schon angekündigt hat, ihr Haus „nur mit den Füßen zuerst“ zu verlassen.

Dass die Häuser der Siedlung eine Sanierung dringend nötig haben, das bestreiten allerdings auch die Mieter nicht. Überall gibt es Probleme mit Wasserschäden, undichten Dächern, Schimmel. Seit den 80er Jahren wurde kaum noch etwas zur Instandhaltung unternommen. Damals wurde die bezirkseigene Siedlung an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW veräußert, die sich herzlich wenig darum kümmerte – schon gar nicht, seitdem sie 2004 vom rot-roten Senat privatisiert und an einen US-amerikanischen Finanzinvestor verkauft wurde.

Für Reiner Wild kein Wunder: „Die offizielle Bewirtschaftungsstrategie der GSW war nach ihrer Veräußerung nicht, die Instandsetzung und Modernisierung des Wohnungsbestandes voranzutreiben“, erklärt der Vorsitzende des Berliner Mietervereins. „Im Vordergrund der amerikanischen Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall stand, das Mietniveau im gesamten Bestand mit ‚normalen‘ Mieterhöhungen anzuheben.“

Die beiden Player seien mit der erwarteten Rendite ausgestiegen, die GSW an der Börse gelandet. Wohnanlagen mit „Substandard“ würden verkauft, so Wild: „Sie werden zur Beute für neue Investoren.“

Am Steinberg stehen seitdem etliche Häuser und Wohnungen leer – wenn jemand stirbt oder wegzieht, kommt niemand nach. Alle Mietanfragen wurden abgeblockt, an manchen Türen klebten plötzlich Namenschilder, obwohl nie jemand zu sehen war, berichten die Männer im Garten.

Inzwischen rebellieren die Mieter – auf ihre Weise. Jedes Wochenende melden sie eine Demonstration an und stehen von 10 bis 20 Uhr mit Transparenten und Plakaten auf der Straße. Nebeneffekt der Mahnwache: Die Grüppchen, die sich Musterhaus und Siedlung zeigen lassen, bekommen einen Eindruck davon, dass die „Stonehill Gardens“ kein feuchter Investorentraum sind, sondern ein gewachsenes Wohngebiet mit Menschen, die mit Steuersparmodellen nichts am Hut haben. Unter der Internetadresse siedlungamsteinberg.net findet sich ein Solidaritätsblog.

Sauer sind die Bewohner aber nicht nur auf die Modernisierer. „Wir kämpfen auch gegen den Bezirk“, sagen sie. Das Bezirksamt habe sich nicht genug gekümmert und vor allem dem neuen Eigentümer lasche Denkmalschutzauflagen gemacht. Nichts stimme mehr an dem auf schick getrimmten Musterhaus. Ein Blick über dessen Gartenzaun gibt ihnen recht: Die alte Fassadenstruktur wurde durch Terrassentüren und einen Wintergarten aufgebrochen, Zwischenwände im Inneren wurden eingerissen, auf der Außenwand klebt eine Dämmschicht.

„Der Stadrat hat dem Investor hier Tür und Tor geöffnet“, sagen die Mieter. Martin Lambert (CDU), der Baustadtrat von Reinickendorf, gegen den sich ihr Zorn richtet, sagt, ihm seien die Hände gebunden. Dass ein hoher Sanierungsbedarf vorliege, sei allen Beteiligten klar, und bei der Frage, wie intensiv saniert werde, müsse er auf das Mietrecht verweisen: „Da habe ich keine Kompetenz.“ Der Umbau des Musterhauses sei mit der unteren und oberen Denkmalbehörde abgestimmt worden.

Rückendeckung bekommen die Steinberg-Siedler von der SPD, der Linken und den Grünen. „Die sozialen Belange und Nöte der Bürgerinnen und Bürger werden außer Acht gelassen“, sagt Hakan Taş, Linken-Abgeordneter aus Reinickendorf. Und Hinrich Westerkamp, stellvertretender grüner Fraktionschef in der Reinickendorfer BVV, wirft Lambert vor, er habe gerade zu Beginn des Konflikts zu wenig Engagement gezeigt.

Weil aber die Parteien von Westerkamp und Lambert im Bezirk eine Kooperation eingegangen sind, haben sie auch gemeinsam einen Beschluss der BVV angeregt: Das Bezirksparlament ersuchte den Baustadtrat, zu prüfen, ob man die teure Modernisierung mit einer Milieuschutzverordnung oder einem „städtebaulichen Vertrag“ zwischen Bezirk, Eigentümer und Mietern begrenzen könne. Laut Lambert prüft seine Behörde noch – für eine Milieuschutzverordnung sieht er aber wenig Chancen.

Für Westerkamp wäre ein städtebaulicher Vertrag ohnehin das bessere Mittel: „Wir versuchen, die Mieter und den Investor unter Vermittlung des Bezirks an einen Tisch zu holen.“ Auch Lambert würde einen „kleinen Runden Tisch sehr begrüßen“. Danach sieht es im Augenblick allerdings nicht aus: Zu viel Porzellan ist schon zerbrochen worden, zu viele Klagen und Kündigungen sind anhängig.

Am Dienstag hatte Edith Franke einen Termin beim Rechtsanwalt. Der Eigentümer hat auf Duldung der Modernisierung geklagt, die 80-Jährige muss entscheiden, ob sie den Rechtsweg weiter beschreitet. „Wenn die bei Frau Franke durchkommen, geht es uns am Ende allen so“, sagt Hartmut Lenz in seinem Gartenstuhl. Ob sich die „Stonehill Gardens“ allerdings die Zwangsräumung einer Rentnerin leisten können, ist noch mal eine ganz andere Frage.