Autokolonnen (fast) ohne Ende

Berlin wird in den kommenden sechs Monaten Staatsgäste im Tausenderpack empfangen. Höhepunkt ist ein Gipfeltreffen im März. Die Polizei nimmt’s gelassen. Im Auswärtigen Amt hat man die Gäste noch nicht mal gezählt

Von den insgesamt 130 offiziellen Treffen werden 60 in Berlin stattfinden

Wir erinnern uns an die Fußball-Weltmeisterschaft: Nahezu nirgends in Berlin entkam man dem Fußball, noch nicht einmal auf einigen Herrentoiletten, wo die Abtropfnetze Fußballfeldern nachempfunden waren. Wenn die deutsche Regierung nun für die erste Hälfte dieses Jahres die Präsidentschaft der Europäischen Union übernimmt und Berlin damit vorübergehend zur Hauptstadt Europas wird, dann entkommt man diesem Spektakel, zumindest in Berlin, sehr gut.

Das liegt, wenn man Berlins Europabeauftragten Monika Helbig glauben mag, an den Gefühlen der Menschen: „Richtig gefühlt und erlebt wird Europa noch nicht.“ Doch auch die Stadt Berlin weiß anscheinend nicht so recht, wie sie diesem Mangel an Empathie für das Projekt Europa beikommen soll. Zwar kann sich der interessierte deutsche Staatsbürger von Januar bis Juni auf ungezählten Symposien, Konferenzen und Workshops zum voll integrierten Europäer fortbilden. Aber alleine die Titel der Veranstaltungen klingen, als wären sie dem Vorlesungszeichnis einer Verwaltungshochschule entnommen: „Integrationspolitik in den Migrantenquartieren der EU“ (12. bis 14. Januar) oder: „Die Landwirtschaft der EU im Finanzierungsspagat“ (17. bis 20. Januar). Positive Gefühle für eine Staatengebilde kann man so kaum erregen.

Die Mehrheit der geplanten Veranstaltungen wird an der Mehrheit der Menschen vermutlich vorbeirauschen – so wie die gepanzerten Limousinen der vielen PolitikerInnen, die Berlin während der Präsidentschaft besuchen werden. Wie viele von ihnen einfliegen, kann das für die Organisation zuständige Auswärtige Amt (AA) derzeit noch nicht beziffern. Nicht immer werden alle Länder Vertreter schicken, und nicht alle Veranstaltungen erfordern die Anwesenheit einer ganzen Delegation. Nicht selten reichen ein oder zwei Fachleute pro Land.

Von den 130 offiziellen Treffen werden 60 in Berlin stattfinden. Das Größte und Aufwendigste davon ist nach Angaben des AA der EU-Gipfel anlässlich des 50. Jahrestags der Unterzeichung der Römischen Verträge. Das Gründungsdokument der Europäischen Gemeinschaft wird am 24. und 25. März gefeiert.

Egal, ob 25 oder 250 hochrangige LändervertreterInnen in der Stadt sein werden, „wir werden jede Veranstaltung angemessen begleiten“, heißt es bei der Berliner Polizei. Konkrete Einsatzplanungen wollte man der taz freilich nicht offenlegen. Nur so viel: „Innerhalb von sechs Tagen sind wir einsatzbereit.“ Vom Besuch des US-amerikanischen Präsidenten in Mainz vor zwei Jahren kann man ungefähr ableiten, was so ein Plan für die Bewohner Berlins heißen könnte: abgesperrte Straßenzüge oder Stadtviertel, Polizeikontrollen, am Himmel kreisende Hubschrauber, Verspätungen im öffentlichen Nahverkehr, potenziell bedrückende Polizeipräsenz an wichtigen Punkten, zugeschweißte Gullideckel. Die Chance, dass dadurch das Ansehen Europas bei den BerlinerInnen weiter sinkt, ist also recht groß.

Dominik Schottner

Informationen im Internet: www.eu2007.de