Die taz-Kritikercharts 2006

Highlight des Jahres

Der erste Teil „Helen, Ted und Fred“, angstfrei, ironisch, ernst – Psychotherapiedarstellung at its best.

Silke Burmester

Großes Griesgramkino: Henry Hübchen wettert in der Talkshow „Drei nach neun“ gegen Florian Henkel von Donnersmarck und dessen Stasi-Erweckungs-Konsens-Schmonzette „Das Leben der Anderen“.

Christian Buss

Alle sagen „Blackout“ – ich bin eingeschlafen und muss die DVD wohl noch mal rauskramen.

David Denk

Der Hessische Rundfunk lässt den Souverän, also das Publikum, die größten Hessen wählen. Und der große Rudi Völler muss sich dem großen Goethe nur um eine Nasenlänge geschlagen geben.

Clemens Niedenthal

„Karambolage“, die deutsch-französische Kulturschnipselshow auf Arte. Bringt mit Wort- und Bildwitz zwei Länder zusammen – und braucht dringend einen deutsch-türkischen Ableger.

Hannah Pilarczyk

... hätte Pro7 mit „Schlag den Raab“ gelingen können – aber dann gab’s bloß Papierfliegerbasteln und Tischtennis. Echtes Highlight: „Ulmens Auftrag“ bei MTV.

Peer Schader

Tiefpunkt des Jahres

Tiefpunkt des Jahres. Johannes B. Kerner hat rein zufällig zwei Tage vor dem Aktiengang seines späteren Werbepartners, der Fluglinie Air Berlin, die Weltmeister im Papierflugzeugflug in seiner Kerner-Sendung zu Gast.

Silke Burmester

Große Schleimoffensive: Das ZDF porträtiert Angela Merkel in „Die Kanzlerin“ nach einem Jahr an der Macht als Regentin der Herzen.

Christian Buss

Die Sat.1-Comedy „Weibsbilder“: Pointen, für die selbst Fips Asmussen sich schämen würde – zu Recht!

David Denk

Das Jahr 2006 an sich. Genauer: Die eitlen (Günther Jauch), unbeholfenen (Delling/Buhkow) und eitel-unbeholfenen (Johannes B. Kerner) Jahresrückblicke von RTL, ARD und ZDF.

Clemens Niedenthal

Die Verschiebung des Migranten-„Dramas“ „Wut“ (ARD) in den späten Abend: wenn ein Spiegel-Artikel alles und verantwortungsbewusster Umgang mit einem aufgeladenen Thema nichts zählt.

Hannah Pilarczyk

Die falsche Debatte um „Popetown“, bei der sich ein paar hohe Herren aus Politik und Kirche wegen einer mittellustigen Comicserie furchtbar blamierten.

Peer Schader

Bester Film

Der „Polizeiruf 110 – Er sollte tot“; Buch (Rolf Basedow) und Regie (Dominik Graf) vervollkommnet durch die grandiose Leistung der Rosalie Thomass.

Silke Burmester

„Die Mauer“ (ARD). Deutsches Historiendrama, präzise, aufwühlend und ohne falsches Heldentum. Heino Ferch so überzeugend wie nie: Darf weder die Welt, noch das Land und nicht mal seinen Filmsohn retten.

Christian Buss

„Tatort: Das verlorene Kind“ – wenn Jobst Oetzmann inszeniert, sind die Münchner Kommissare Batic, Leitmayr und Menzinger besonders gut. Unvergessen: „Im freien Fall“ (Grimme Preis 2002).

David Denk

„Polizeiruf 110: Die Mutter von Monte Carlo“. Der Hessische Rundfunk folgt auch mit seinen „Polizeiruf“ der kühnen Fährte, die er schon mit dem „Tatort“-Team Sawatzki/Schüttauf gelegt hat. Krimi 2.0 oder so.

Clemens Niedenthal

„Das Geheimnis im Moor“ (ZDF) Ein Film ohne Genregrenzen, aber mit schillernden Figuren – wohltuende Ambivalenz in einem Programmumfeld, in dem sonst alles „Soko“, „Charlie“ oder „Julia“ ist.

Hannah Pilarczyk

„Blackout – Die Einschaltquote ist tödlich“, Sat.1. Nicht perfekt, aber ungewöhnlich fürs sonst so biedere deutsche Fernsehen. Schade, hat nicht geklappt.

Peer Schader

Beste Serie

„Türkisch für Anfänger“: Alle Klischees, alle Ängste, alle Vorurteile werden in ihren lustigen Abgründen artikuliert.

Silke Burmester

„Blackout“ (Sat.1) – Die Serie als Erinnerungslabyrinth. Ein anrührendes Melodram, verschüttet unter Koks und Testosteron. So gut, dass es von Sat.1 wegen schlechter Quoten sofort ins Nachtprogramm verbannt wurde.

Christian Buss

Warum gucke ich bloß keine Serien mehr? Weil sie mich langweilen!

Warum gucke ich bloß keine Serien mehr? Weil sie mich langweilen!

David Denk

„Gilmore Girls“ – Alle Jahre wieder und in diesem Jahr auch ein bisschen, weil sich „Dr. House“ schon nach drei Folgen zu Ende erzählt hatte und das Jahr 2006 für Serien überhaupt ein schlechtes war.

Clemens Niedenthal

Der Sat.1-Vierteiler „Blackout“ komplex, dicht, düster – vor allem aber wegen Roeland Wisnekker, dieser Rampensau von Bullenschwein, großartig!

Hannah Pilarczyk

Als Eigenproduktion: „Türkisch für Anfänger“ in der ARD (neue Folgen ab Frühjahr). Bei den Lizenzprogrammen: „Boston Legal“ auf Vox (James Spader und William Shatner sind irre – und irre gut).

Peer Schader

Held/Heldin des Jahres

...… ist eine tragische. Natascha Kampusch. Sie scheiterte am naiven Versuch, die Medien zu befriedigen.

Silke Burmester

Frank Plasberg („Hart aber fair“) – Zieht als Deutschlands bester Talkmaster wacker im Dritten seine Runden, während die ARD für seinen edlen Sonntagssendeplatz ein braves Zirkuspferdchen sucht.

Christian Buss

Stefan Raab wegen „Schlag den Raab“ – beste Samstagabendunterhaltung im Geiste von „Spiel ohne Grenzen“, die niemanden überfordert, aber der ganzen Familie Spaß macht. Einziger Wermutstropfen: Moderator Matthias Opdenhövel.

David Denk

Das Tier als solches. Und zwar auf allen Kanälen. Ob als Zoodoku, Tierarztdoku oder Castingshow. Was wohl danach kommt? Die Pflanze?

Clemens Niedenthal

Johanna Gastdorf („Tatort: Pauline“), Claudia Geisler („Das Geheimnis im Moor) und Rosalie Thomass („Polizeiruf 110: Er sollte tot“) – tolle Schauspielerinnen, die viel mehr und viel größere Rollen verdient haben.

Hannah Pilarczyk

Nina Hagen. Überraschte als Jurymitglied bei „Popstars“ mit mütterlicher Fürsorge für die Kandidatinnen, ohne dabei wie erwartet furchtbar zu nerven.

Peer Schader

Was fehlte

Was war das noch? Ach ja, innovatives, provokantes, Fernsehen, das nicht gefallen will sondern wagt.

Silke Burmester

Eine einzige wirklich witzige deutsche Comedy. Komm bald wieder, Stromberg!

Christian Buss

Das Bundesverdienstkreuz für Götz Alsmann und Christine Westermann, wegen denen ich fast jeden Sonntagabend WDR gucke – auch wenn ihnen die guten Gäste auszugehen scheinen.

David Denk

Siehe „Beste Serie“: Endlich mal wieder intelligentes, reflexives, querverweisendes deutsches Fortsetzungsfernsehen. Endlich mal wieder? Endlich mal!

Clemens Niedenthal

Der Irrsinn. Auch wenn es RTL mit „WM-Kommentator“ Pierre Littbarski echt probiert hat: 2006 fehlte das Überrumpelnde und Abgeschädelte im deutschen TV. Könnte nicht bitte die „Gong-Show“ statt „Pssst“ wiederkommen?

Hannah Pilarczyk

Eine ernst gemeinte Diskussion über die Reform der Rundfunkgebühren. Mehr Mut bei RTL. Zuschauerbegeisterung für deutsche Serien. Die nächste Dschungelshow-Staffel.

Peer Schader

Was weg muss

Die öffentlich-rechtlichen Gefallsüchtigen. Der Papst als TV-Zirkusclown.

Silke Burmester

Alle Kochsendungen, sofort.

Christian Buss

Mirja Boes, Mario Barth, Ingo Oschmann und all die anderen Knallchargen; Tom Buhrow, weil die Moderation der „Tagesthemen“ eine Nummer zu groß für ihn ist – genau wie seine Hemden.

David Denk

Auch wenn ich dich ansonsten ganz toll mag, liebe „Kulturzeit“ – aber gönne dir bitte, bitte mal ein neues Studiodesign.

Clemens Niedenthal

Die „Promis spielen Spiele/machen Sport“-Riesenshows. Mit dem Doppelpack „Stars auf Eis“ (Pro7) und „Dancing on Ice“ (RTL) ist der Tiefpunkt aber wahrscheinlich schon erreicht.

Hannah Pilarczyk

Die Branchenüberzeugung, am ehesten mit Adaptionen aus dem Ausland Quote machen zu können, anstatt sich ein eigenständiges Profil zu erarbeiten.

Peer Schader