Islamisten verlieren letzte Stadt

In Somalia haben die Islamisten nicht einmal zwei Wochen nach Beginn der äthiopischen Offensive auch ihre letzte Zuflucht in der Stadt Kismayo aufgegeben

NAIROBI taz ■ Das neue Jahr war erst wenige Minuten alt, da gaben Somalias Islamisten auch ihre letzte Bastion auf. „Die ganze Nacht konnten wir das Gebrumme der Autos hören, die sich auf dem Weg in Richtung Kenia gemacht haben“, berichtete gestern ein Bewohner von Kismayo. Gut 3.000 Islamisten mit rund 100 Geschützfahrzeugen sollen wieder auf der Flucht sein, nachdem sie erst vor ein paar Tagen in der Hafenstadt 300 Kilometer südlich von Mogadischu angekommen waren. Wie die somalische Hauptstadt, so überließen sie auch Kismayo kampflos der Übergangsregierung und der äthiopischen Armee.

Noch vor wenigen Wochen hatten die Islamisten fast ganz Somalia kontrolliert. „Kismayo ist in den Händen der Regierung, Hafen und Flughafen sind befreit“, freute sich der Premierminister der somalischen Übergangsregierung, Ali Mohammed Ghedi, am Neujahrsmorgen. Kurz darauf verscheuchten Ghedis Truppen die Bewohner, die die Lager der Islamisten nach deren Flucht geplündert hatten.

Am Sonntag hatten die Islamisten erfolglos versucht, die äthiopischen Truppen aufzuhalten, die mit Panzern und Kampfhubschraubern auf Kismayo zumarschierten. Bei den Kämpfen in Dschilib etwa 100 Kilometer vor Kismayo kamen somalischen Medien zufolge viele Islamisten ums Leben. Noch gestern wurden Verletzte in den von Äthiopiern besetzten Ort gebracht. Zunächst war unklar, wohin die Islamisten fliehen wollten. Von Kismayo ins Nachbarland Kenia sind es kaum mehr als 150 Kilometer. Doch Kenias Regierung hat angekündigt, die Grenze geschlossen zu halten. Durch Garissa im Nordosten Kenias fuhren am Montag kenianische Militärkonvois in Richtung Somalia. Angeblich sollen auch Soldaten der US-Armee an der Grenze stationiert sein, um gesuchte Terroristen in Empfang zu nehmen. Mehrere Islamisten, unter ihnen der Anführer der „Union islamischer Gerichtshöfe“, Scheich Hassan Dahir Aweys, werden wegen ihrer Verwicklung in die Bombardierung der US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 gesucht. US-Truppen wurden sowohl in der Nähe des Flüchtlingscamps Dadaab im äußersten Nordosten Kenias als auch im Osten Äthiopiens gesichtet. Ein somalischer Journalist in Kismayo berichtete, die Islamisten würden deshalb in Somalia bleiben. „Die Truppen wollen sich auf einer Insel vor Kaambooni verschanzen.“ Die Gegend im äußersten Süden Somalias ist dicht bewaldet und vollkommen unerschlossen. Die Islamisten hatten seit Beginn der Kämpfe vor zwei Wochen immer wieder mit einem Guerillakrieg gedroht, sollten sich die äthiopischen Truppen nicht zurückziehen.

Die Übergangsregierung, die ohne fremde militärische Unterstützung als machtlos gilt, forderte unterdessen eine afrikanische Schutztruppe für Somalia. „Wir sind im Gespräch mit der Afrikanischen Union und ihren Mitgliedern mit dem Ziel, so schnell wie möglich eine Friedenstruppe in Somalia zu stationieren“, sagte Premierminister Ghedi gestern in Mogadischu. Die AU hatte das ostafrikanische Staatenbündnis Igad bereits im September beauftragt, eine solche Truppe zusammenzustellen. Kenias Präsident, Mwai Kibaki, der dem Bündnis vorsitzt, kündigte in seiner Neujahrsrede ein baldiges Gipfeltreffen zur Lage in Somalia an.

Ghedi gab den Bewohnern Mogadischus zudem bis Donnerstag Zeit, freiwillig ihre Waffen abzugeben. „Gleichzeitig fordern wir die ehemaligen Warlords-Milizen auf, sich als legale Mitglieder der somalischen Sicherheitskräfte registrieren zu lassen.“ Den in Mogadischu verbliebenen Islamisten versprach Ghedi eine Amnestie, sollten sie ebenfalls ihre Waffen abgeben.

MARC ENGELHARDT