Europas neue Ufer am Schwarzen Meer

Mit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens gerät auch die Schwarzmeerregion stärker ins Blickfeld der Europäischen Union – ein Markt mit 350 Millionen Menschen und einer Fülle ungelöster Konflikte, der strategisch immer bedeutsamer wird

VON BARBARA OERTEL

Am 1. Januar 2007 hat die Europäische Union (EU) maritimes Neuland betreten: Jetzt, wo auch Rumänien und Bulgarien zum exklusiven Club gehören, hat die Union erstmals eine Grenze zum Schwarzen Meer. Und so ist es wohl auch kein Zufall, dass Brüssel beabsichtigt, der Schwarzmeerregion künftig mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In einem Papier vom 4. Dezember 2006 betont die Europäische Kommission, „die regionale Kooperation im Osten auf der Grundlage der bestehenden Zusammenarbeit der Schwarzmeeranrainer intensivieren“ zu wollen. Auch Deutschland, das seit gestern die EU-Ratspräsidentschaft innehat, hat das Thema Nachbarschaftspolitik zu einer Priorität für die kommenden sechs Monate erklärt.

„Dass die Schwarzmeerregion auf die Agenda kommt, war überfällig“, sagt der bulgarische Politologe Krassimir Nikolow. Er begrüße die Bereitschaft der EU, bei der Zusammenarbeit mit den Nachbarn nicht wie bislang auf einen bilateralen, sondern auf einen regionalen Ansatz zu setzen.

Abgesehen davon, dass es um einen Markt von rund 350 Millionen Menschen mit einem Handelsvolumen von mehr als 300 Milliarden US-Dollar jährlich geht, hat sich die Schwarzmeerregion seit dem Ende des Kalten Krieges zu einem strategisch wichtigen Gebiet entwickelt. Es ist eine Transitregion für die Pipelines aus dem Kaspischen Meer, gleichzeitig aber auch Schauplatz mehrerer eingefrorener Konflikte. So ist der Status der von der Moldau abtrünnigen Republik Transnistrien genauso ungeklärt wie der der Republiken Südossetien und Abchasien, die sich von Georgien trennen wollen. Von Russland unterstützte fragwürdige Referenden in Transnistrien und Südossetien im vergangenen Jahr, in denen sich die Mehrheit der Bevölkerung für die Unabhängigkeit aussprach, haben Hoffnungen auf eine baldige Lösung der Konflikte vorerst zunichte gemacht. Gerade aber diese abtrünnigen Regionen gelten als Transit- und Umschlagplätze für Waffen- und Drogenhandel.

Versuche der Schwarzmeeranrainer zu kooperieren gab es in der Vergangenheit einige. So wurde 1992 die Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (BSEC) gegründet. Der Organisation gehören neben der Türkei mit Bulgarien, Georgien, Rumänien, Russland, der Ukraine, Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Griechenland, Serbien und Moldawien elf weitere Staaten an. Erklärtes Ziel der BSEC war und ist es, Zölle zwischen den Staaten zu reduzieren und Grenzformalitäten zu harmonisieren sowie wirtschaftlich zu kooperieren. Zudem wollen die Mitglieder bei Umweltschutz, Transport, Energie und Telekommunikation sowie Wissenschaft, Technologie und Landwirtschaft zusammenarbeiten – genauso wie in Fragen der inneren Sicherheit, bei der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität.

In erster Linie der Zurückdrängung des russischen Einflusses hat sich die 2001 formal begründete Organisation für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung (GUAM) verschrieben, der Aserbaidschan, Georgien, Moldawien und die Ukraine angehören. Seit der Wahl des russophilen Wiktor Janukowitsch zum ukrainischen Regierungschef im vergangenen Herbst ist aber fraglich, inwieweit Kiew noch bereit ist, dieser Vorgabe zu folgen.

2006 wurde auf Initiative des rumänischen Staatschefs Traian Băsescu das Schwarzmeerforum für Partnerschaft und Dialog (BSF) aus der Taufe gehoben. Das Forum will regelmäßige Konsultationen zwischen den Mitgliedern Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Rumänien, der Ukraine und den „Beobachtern“ Bulgarien, Türkei, den USA und der EU sicherstellen.

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, ist ein leidenschaftlicher Verfechter einer intensiveren Zusammenarbeit mit der Schwarzmeerregion. „Wir brauchen Foren, wo normale Dialogverhältnisse herrschen und beispielsweise Russland und Georgien an einem Tisch sitzen“, sagt Erler. Bulgarien hält er für geradezu prädestiniert, sich in der Schwarzmeerregion zu engagieren, denn: „Bulgarien muss von Anfang an ein erwachsener Partner in der EU sein und einen entsprechenden Beitrag leisten. Das könnte die Schwarzmeerregion sein.“ Die instabilen politischen Verhältnisse in den Staaten, die 2004 der EU beigetreten seien, sind für Erler Zeichen für ein Vakuum, das nach Erreichen des Beitrittsziels entstanden sei. Das dürfe sich in Bulgarien nicht wiederholen. Als ersten Schritt schlägt Erler eine internationale Konferenz zum Thema „Sicherheits- und Grenzkontrollfragen in der Schwarzmeerregion“ vor. Die könnte Sofia ausrichten.

Die Forderung nach einem Engagement Bulgariens in der Schwarzmeerregion stößt bei dem bulgarischen Politologen Krassimir Nikolow auf offene Ohren. Denn Bulgarien habe auch ganz eigene politische und menschliche Interessen in dieser Region. „In der Ukraine und Moldawien leben bulgarische Minderheiten. Zu ihnen haben wir gute Beziehungen, und die wollen wir ausbauen“, sagt er. Diese Kommunikation könne dazu beitragen, das umzusetzen, was die EU im Rahmen der Nachbarschaftspolitik predige: eine Verankerung der europäischen Werte bei den Nachbarn.