Rote Ampel für süße Verführer

Vor 21 Uhr gibt es in Großbritannien keine Werbespots mehr für Süßigkeiten. Am liebsten würde die britische Regierung alle ungesunden Lebensmittel kennzeichnen. Die Hersteller laufen jedoch Sturm gegen diese Empfehlung der Lebensmittelagentur

von SVEN KULKA
und RALF SOTSCHECK

Die Briten platzen aus allen Nähten, vor allem die Kinder werden immer fetter. Die Londoner Regierung möchte das ändern. Ihre „Agentur für Lebensmittelnormen“ hat jetzt ein Kennzeichnungssystem eingeführt, das auch dem unbedarftesten Verbraucher signalisiert, welche Produkte gut und welche schlecht für ihn sind. Zunächst dient es nur als Empfehlung. Sollten Hersteller und Handel nicht mitspielen, soll die freiwillige durch eine gesetzliche Regelung ersetzt werden. Bereits umgesetzt ist ein Werbeverbot für ungesunde Produkte vor 21 Uhr. Sie kommen also erst auf den Bildschirm, wenn zumindest die Kinder schon im Bett sind. Das Kennzeichnungssystem ist dabei denkbar einfach, es funktioniert wie eine Ampel. Bei zu viel Fett steht sie auf Rot, fettarme Produkte erhalten grüne Punkte. Dasselbe gilt für Zucker und Salz.

In Deutschland wird das so genannte Signposting kontrovers diskutiert. Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung beispielsweise ist skeptisch. „Das Ampelprinzip ist keine optimale Lösung“, sagt sie. „Es gibt lediglich eine grobe Orientierung für einzelne Produkte.“ Eine Aussage darüber, ob sich jemand gesund ernährt oder nicht, treffe das System aber nicht. „Esse ich beispielsweise eine Tafel Schokolade, deren Verpackung eine rote Ampel ziert, lebe ich nicht ungesund, wenn ich mich sonst ausgewogen ernähre.“

Die Ampel könne jedoch eine ergänzende und vereinfachende Kennzeichnung neben der üblichen genauen Zutatenliste darstellen, sagt Thomas Isenberg, Leiter der Abteilung Gesundheit und Ernährung in der Verbraucherzentrale Bundesverband.

In Großbritannien hat der Vorstoß die Unternehmen empört. Alastair Sykes, Geschäftsführer von Nestlé, befürchtet, dass sämtliche Süßigkeiten sowie die meisten Frühstücksflocken seiner Firma mit roten Schildern beklebt werden. „Wir können die Ampelmarkierung aus Prinzip nicht akzeptieren“, sagt Chris Wermann, Direktor von Kellogg’s. Frühstücksflocken seien wichtig, viele Kinder würden sonst gar nicht frühstücken.

Der Widerstand der Hersteller ist verständlich: Das Geschäft mit den Cornflakes und seinen Verwandten ist 1,27 Milliarden Pfund im Jahr wert. Deshalb hat Kellogg’s längst einen Gegenvorschlag in der Schublade, den eine mächtige Allianz aus 21 Großproduzenten, darunter Danone, Unilever, Kraft, Pepsi und Tesco, favorisiert: Man will keine farbliche Markierung, sondern lieber kleingedruckte, unübersichtliche Informationen, wie viel Prozent der empfohlenen täglichen Höchstmenge an Fett, Zucker und Salz das Produkt enthält.

Der Verbraucherverband hatte im Mai 275 verschiedene Frühstücksflocken untersucht. Das Ergebnis: 75 Prozent enthalten noch immer Unmengen von Zucker, ein Fünftel zu viel Salz. Kellogg’s erklärte, man habe den Salzgehalt seit 1998 um ein Viertel reduziert – auf Druck der „Agentur für Lebensmittelnormen“. „Wenn wir gewusst hätten, dass Cornflakes mit 25 Prozent weniger Salz sogar besser schmecken, hätten wir das schon früher gemacht“, sagt Tony Palmer von Kellogg’s.

Im deutschen Verbraucherschutzministerium wird man den Streit in Großbritannien interessiert beobachten. Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) hat für das Frühjahr einen „Aktionsplan Ernährung“ angekündigt. Um gesetzliche Regelungen wird es dabei nach bisherigem Stand nicht gehen, sondern vor allem um „Bewusstseinsbildung“. Mit im Gespräch: ein Unterrichtsfach Ernährung sowie mehr Sportkurse an den Schulen. Beides allerdings wären vor allem Aufgaben der Bundesländer.