Jubeln mit Papa Trainer

DFB-POKAL Energie Cottbus wirft schon wieder einen Erstligisten raus und steht im Halbfinale. Eines ärgert die Lausitzer nach dem 1:0 gegen 1899 Hoffenheim dann doch: Das Stadion war wieder nicht voll

COTTBUS taz | Lassen wir eine Zahl sprechen. Nein, nicht jene 1,75 Millionen Euro, die der Zweitligist Energie Cottbus nun für das Erreichen des Halbfinales im DFB-Pokal erhält. Die Zahl ist zwar auch hübsch, aber Ulrich Lepsch, dem Präsidenten des Zweitligisten, lag eine andere am Herzen, nachdem sein Verein den Bundesligisten TSG Hoffenheim aus dem Wettbewerb befördert hatte. „Das ist ein Highlight, zumal die einen Spieler mitgebracht haben, der so viel kostet wie unser ganzer Jahresetat.“ Die Rede ist von Ryan Babel vom FC Liverpool, am Tag zuvor verpflichtet für sieben Millionen Euro Ablöse. Mit Gehalt dürfte der Niederländer in der Tat auf fast jene zwölf Millionen Euro kommen, mit denen der FC Energie, der passenderweise für einen Discounter auf den Trikots wirbt, eine ganze Saison bestreitet.

Der Jubel war groß. Doch als spätabends die Bilder vom Triumph noch einmal über den Bildschirm flimmerten, zuckte so mancher Funktionär zusammen. Claus-Dieter Wollitz sorgte für ein Déjà-vu-Erlebnis. „Ich brauche jetzt nicht mehr weiterzuarbeiten hier“, sagte er in einem Interview, „ich kann das sowieso nicht übertreffen.“ Pause. „Normalerweise müsste ich nach Hause fahren.“ Solche Sätze scheinen eine Art Reflex zu sein beim Trainer, „der sein Herz auf der Zunge trägt“, wie Präsident Ulrich Lepsch sagt. Nach Pokalerfolgen von Rücktritt zu reden – eine verbale Affekthandlung? Doch es gab diesmal einen Unterschied zum Sieg im Dezember in Wolfsburg, als er mit seinen Abschiedsgedanken ob des Gefühls, dass seine Arbeit nicht genügend gewürdigt werde und mancher Fan ihn vergraulen wolle, den ganzen Verein erschütterte: Erst vor drei Wochen hat Wollitz einen neuen Arbeitsvertrag bis 2013 unterschrieben. So konnte und wollte diese Sätze nach dem 1:0-Erfolg im Viertelfinale des DFB-Pokals keiner ernst nehmen. Dieser Wollitz ist ein echter Typ. Faszinierend, wie er gleich nach dem Schlusspfiff auf den Rasen stürmte und sich mit auf die Traube aus Spielerleibern stürzte. „Der hat ein Verhältnis zu den Spielern, als ob es seine eigenen Kinder wären“, sagt Energies Vizepräsident Wolfgang Neubert.

Ganz unten lag Torwart Thorsten Kirschbaum. Der war jahrelang Ersatztorwart in Hoffenheim und sagte: „Es ist ein riesiges Gefühl, den Exverein rausgeschmissen zu haben.“ Der in Baden verkannte Kirschbaum, der mit seinen Paraden auch die Sensation ermöglichte, beschreibt das Verhältnis zu Wollitz so: „Er ist unser Motivator, der für die Philosophie hier steht.“ Früher, so Kirschbaum, habe auch er zu den Spielern gehört, für die die Balkanauswahl Cottbus nicht als Arbeitsplatz infrage gekommen wäre, „aber jetzt kann man sich mit dieser Mannschaft identifizieren“.

Viele junge deutsche Spieler, ergänzt mit einer Handvoll ausländischer Profis, von denen einige bereits gescheitert waren auf höherem Niveau. Als Beispiel hierfür darf auch Jiayi Shao gelten. In der Ersten Liga bei 1860 München und auch in Cottbus galt er nur als Mitläufer. Doch von seiner angeblichen Klasse hat Wollitz so oft öffentlich geschwärmt, bis der Chinese selbst daran geglaubt hat. Am Mittwoch kam er als Joker – und entschied die Partie mit seinem Treffer (84.). „Der Trainer und ich verstehen uns ganz gut“, sagte er, „ich könnte die ganze Welt umarmen. Für mich ist das wie ein Traum.“

Erinnerungen werden wach in der Lausitz an 1997, als der FC Energie, damals als Drittligist, das Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart (0:2) erreichte. Freiburg, Wolfsburg, Hoffenheim – drei Erstligisten eliminierte Energie. Allein eine weitere Zahl des Tages trübte Wollitz’ Laune: 15.200. Mehr Fans waren nicht gekommen. „Aber in jeder anderen Stadt, erst recht, wenn ein Verein so in Vorleistung gegangen ist wie wir“, sagte Wollitz mit Blick auf die Aufstiegschancen in Liga zwei, „wäre das Spiel ausverkauft gewesen.“ Und so mischte sich in die tiefe Freude auch Ärger und Furcht. „Die Leute erwarten immer mehr von uns. Ob wir das erfüllen können?“ MATTHIAS WOLF