: Kleine Figuren, große Ideen
GLAUBE Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt in der Ausstellung „Götter, Götzen und Idole“ Figuren, die für Lebensinhalte der frühen Hochkulturen stehen
VON HAJO SCHIFF
Glück sollten sie bringen – im Leben und danach. Ausgräber finden die kleinen Figuren als Götter längst verschütteter Hausaltäre, als Weihegaben an ehemals heiligen Orten oder als Amulette in Gräbern. Die Archäologen bezeichnen sie als Idole. Und die erzählen viel über die Religiosität im polytheistischen Alltag der Antike. Doch längst nicht jede der Figürchen muss als Darstellung eines göttlichen Wesens verstanden werden – so wenig wie heute alles das, was an Glücksbringern so genutzt wird.
Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe widmet den kleinen Idolen nun eine große, mit einer speziellen Farbregie aufwendig gestaltete Ausstellung. Manche der bis zu fünftausend Jahre alten Funde aus dem ganzen Mittelmeerraum und aus dem alten Germanien lagen bisher nur im Depot, einige werden erstmals gezeigt. Doch über die im Detail oft interessanten Objekte hinaus ist das besondere dieser Ausstellung das Gewicht, das auf die Wirkungs- und Forschungsgeschichte gelegt wird. Diese wird mit Büchern und Kupferstichen anschaulich gemacht.
Fremde Götter historisch und ästhetisch zu betrachten, ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Vielen galt so etwas schlicht als Teufelswerk. „Aller Heiden Götter sind Götzen“ befand Martin Luther 1534. Den Reformatoren war der von der römischen Kirche noch tolerierte, tausende Jahre alte Volksglaube an die magische Kraft der Amulette suspekt und sie verdammten „alles, woran der Mensch sein Herz hängt“.
Diese Verurteilung konnte genauso auf die ganze Bildwelt der römisch-katholischen Heiligen bezogen werden. In den Predigten der radikalen Kirchenreformer bot sich solche Gleichsetzung auch deshalb an, da seit dem 15. Jahrhundert gerade von Rom der Impuls ausging, Objekte der wiederentdeckten Antike zu sammeln. Doch im Gegensatz zu den reformierten Gemeinden in der Schweiz und in den Niederlanden, versuchte Luther später, die Bild- und Objektwelten zu schützen: Der aufgeklärte Christenmensch solle zwischen Darstellung und Dargestelltem unterscheiden.
Voller Neid auf die südliche Kultur begann man darauf im Norden sich eine eigne Antike zu erfinden. Aus wenigen alten Quellentexten wurde im Barock eine germanisch-slawische Götterwelt teils rekonstruiert, teils wie die Figuren von Krodo und Flins frei erfunden. Ein bizarrer Höhepunkt dieser Entwicklung sind die Prillwitzer Idole, angeblich altslawische Bronze-Figurinen aus Mecklenburg, die erst 65 Jahre nach ihrer Entdeckung um 1770 als Fälschungen entlarvt werden konnten.
Interessant ist auch die unterschiedliche Bewertung der über 4.000 Jahre alten Kykladenidole. Noch 1857 als „kleine Scheusale aus Marmorsplittern“ bezeichnet, galten sie Anfang des 20. Jahrhunderts als meisterhafte reduzierte Plastiken, die beispielsweise Pablo Picasso für „noch schöner als ein Werk von Brancusi“ hielt. Auch das ist ein Irrtum, waren die so ungemein modern wirkenden Abstraktionen doch mit ihrer einstigen Bemalung weitaus realistischer. Für die meist stehend präsentierten, einst aber aufgrund der speziellen Fußhaltung nur liegend sinnvollen Figurinen gibt es inzwischen eine ganz neue Theorie: Sie könnten die Beweisobjekte eines Initiationsrituals vom Mädchen zur Frau sein.
So geben die vielen aus Bergkristall gesägten, aus Marmor gehauenen, aus Ton geformten oder aus Astgabeln geschnitzten Idole bis heute Anlass zu Geschichten, Vermutungen und Rätseln um Religion, Kultur und rationales Erfassen, um fernen Alltag und eigene Phantasie. Und eine Ausstellung kleiner Dinge wird zu einem großen Thema.
bis 30. April, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
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