Wenn die Gangs das Land nehmen

WAFFEN Aus den Jugendbanden in El Salvador sind organisierte Verbrecher geworden, die den Staat herausfordern. Die linke Regierung setzt das Militär ein

1 Die erste Generation: Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1992 entstehen in El Salvador Maras als kleinkriminelle Ersatzfamilien für orientierungslose Jugendliche aus den Armenvierteln und Deportierte aus den USA.

2 Die zweite Generation: In den Jahren 2003 und 2004 werden fast 20.000 Mara-Mitglieder verhaftet. Die anderen tauchen ab und werden professioneller. Sie leben von Schutzgelderpressung, Drogenhandel und Mord.

3 Die dritte Generation: Die neuen Mara-Chefs arbeiten mit den aus Mexiko einsickernden Drogenkartellen zusammen, lernen von diesen und fordern den Staat heraus. Ihre Gewinne werden in legale Geschäfte investiert.

AUS SAN SALVADOR TONI KEPPELER

Wahrscheinlich war es eine M-16. „Erst hörte ich ein paar Salven, so sechs oder acht“, erinnert sich ein Nachbar aus dem Viertel. „Rattattatta, rattattatta.“ Viele Menschen in El Salvador können die Sturmgewehre am Klang ihrer Schüsse unterscheiden. „Dann gab es Schreie und zum Schluss einen lauten Knall. Da ist wohl der Tank explodiert.“

Es war schon dunkel in Mejicanos, einem Vorort der Hauptstadt San Salvador. Vier Mitglieder der Jugendbande Mara Salvatrucha hatten einen Stadtbus mit Waffen zum Anhalten gezwungen. Zuerst feuerten sie wild auf die Passagiere, dann schütteten sie Benzin in den Innenraum und zündeten es an. Vierzehn Menschen starben. Es war am Abend des 20. Juni 2010. Einem Sonntag.

„Sie zeigen ihre Waffen“, sagt Henry Campos und kurz verschwindet das Lächeln aus dem Gesicht des 49 Jahre alten Mannes mit dem grau melierten Bart. „Sie zeigen ihre Macht.“ Campos ist seit eineinhalb Jahren der Sicherheitsminister von El Salvador, und sein größtes Problem sind die Jugendbanden, die Maras. Da ist die Salvatrucha, die ihren Namen verballhornend von El Salvador ableitet. Und die Barrio 18 oder B 18, benannt nach einer Straße in Los Angeles.

Das Büro des Ministers liegt in einem verschachtelten Betonklotz nahe dem Stadtzentrum und ist keine zwei Kilometer Luftlinie vom Ort des Überfalls in Mejicanos entfernt. Es wirkt so, als wäre er gestern erst eingezogen: Ein fast leerer Raum, am einen Ende ein Schreibtisch ohne Papierstapel, am anderen eine kleine Sofaecke. Wenige Bücher verlieren sich im Regal, meist Bände mit Gesetzen. Aber auch eine Studie über Maras, verfasst von Soziologen der Zentralamerikanischen Universität. Dort war Campos Rechtsprofessor, bevor er von der ersten linken Regierung des Landes zum Minister berufen wurde.

Als Akademiker war Campos ein prominenter Verfechter der Menschenrechte. Mitten im Bürgerkrieg hat er versucht, Generäle wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu bringen. Das war lebensgefährlich. Erst mit dem Friedensvertrag von 1992 verlor die vorher allmächtige Armee ihren Einfluss.

Mitte 2009 kam die ehemalige Guerilla FMLN an die Regierung. Seit der Machtübernahme sieht sie sich wegen der eskalierenden Jugendgewalt gezwungen, das Militär wieder aus den Kasernen zu holen und auf die Straßen und in die Gefängnisse zu schicken – ein Prozess, der bis heute anhält. Die Soldaten sollen die rund 17.000 Mara-Mitglieder draußen bekämpfen und auf deren rund 8.000 einsitzende Kumpanen aufpassen.

Campos redet nicht gern über das Thema, diese Maßnahme. „Es war ein Notfall“, sagt er. „Der Plan B.“ Die Maras steuern aus dem Gefängnis Mord und Erpressung, korrupte Polizisten und Justizbeamte helfen. „Wir mussten etwas tun.“ Sind denn Soldaten weniger anfällig für Korruption als Polizisten? „Ich weiß es nicht“, sagt Campos. Wieder verschwindet das Lächeln.

Seine Regierung hat dem Parlament ein Gesetz vorgelegt, nach dem es ein Verbrechen ist, Mitglied einer Mara zu sein. Viele Jahre Gefängnis drohen, eine Tat muss nicht mehr nachgewiesen werden. Als Menschenrechtsanwalt hätte sich Campos gegen dieses Gesetz empört. Maras waren für ihn das Ergebnis einer verfehlten Sozialpolitik, die eigentlichen Verlierer des Bürgerkriegs. Und jetzt antworteten sie auf die Gesetzesinitiative seiner Regierung mit dem Massaker von Mejicanos.

Das Wort Mara ist im salvadorianischen Spanisch seit den Sechzigerjahren geläufig. Es bezeichnete zunächst einen Freundeskreis: die Kumpel von der Fußballmannschaft oder die Freunde aus dem kirchlichen Jugendclub. Umgangssprachlich wird es noch heute so verwendet. Im engeren Sinn meint es seit dem Ende des Bürgerkriegs kriminelle Jugendbanden, die sich erst prügelten, dann raubten und schließlich mordeten. Nach der Statistik des gerichtsmedizinischen Instituts sind Maras für knapp 12 Prozent der Morde verantwortlich, 25 Prozent der Tötungsdelikte fallen in die Rubrik „gewöhnliche Kriminalität“, bei fast 60 Prozent der aufgefundenen Leichen haben die Ermittler keine Ahnung, wer die Täter gewesen sind. Medien und Politiker nutzen dieses Unwissen und schreiben auch diese 60 Prozent den jungen Männern mit den Tattoos im Gesicht zu.

Die erste Mara-Generation: Jungs wie Calaca

Calaca war so ein junger Mann – als er noch lebte. In gotischen Lettern trug er die Insignien seiner Mara auf der Stirn: MS für Mara Salvatrucha und dazu die Unglückszahl 13.

Vor fünfzehn Jahren konnte man ihn in Mejicanos treffen, auf dem Grundstück eines verfallenen Hauses, von dem nur noch zwei mit Graffiti besprühte Mauern standen. Dort lungerte die örtliche Clique der Mara Salvatrucha herum, um Marihuana zu rauchen und Bier und Schnaps zu saufen. Kam jemand vorbei, den man kannte, wurde er angeschnorrt. Passanten, die man nicht kannte, wurden gelegentlich überfallen. Ein paar Messer zum Drohen hatten die Jungs immer dabei und manchmal auch eine „Chimba“, eine aus Rohren gebastelte Schrotflinte.

„Calaca“ ist ein Slangwort für Totenschädel. Der Junge hatte diesen Spitznamen bekommen, „weil ich so dürr bin“. Er war klein und schmal und wie jedes fünfte salvadorianische Kind chronisch unterernährt.

Aufgewachsen ist er mit der Mutter und vier Geschwistern in einem jener Einzimmerhäuschen im Stadtteil San Jacinto, wo die billigen Bordelle für die Lastwagenfahrer sind. Sein Vater hatte sich in die USA abgesetzt, um Geld zu verdienen. „Wir haben nie etwas von ihm gehört“, erzählte Calaca. Die Mutter brachte ihre fünf Kinder durch, indem sie in fremden Häusern bügelte.

Mit dreizehn schmiss Calaca die Schule und schloss sich den Salvatruchas an. Die herrschten über einige Häuserblocks, die Nachbarschaft gehörte der Bande vom Barrio 18. Dazwischen lag eine Bushaltestelle.

Bushaltestellen waren wichtig. „Da kommen viele Leute hin. Da kannst du betteln und klauen“, sagte Calaca. Die Maras kämpften darum und die vom B 18 seien die Härteren gewesen. „Wenn die einen von uns erwischt haben, haben sie mit ihm gemacht, was sie wollten. Ihn verprügelt, auf ihn eingestochen. Und so haben auch wir die Sache ein bisschen ernster genommen.“ Einmal habe er einen der anderen erstochen, erzählte Calaca gerne. Danach musste er verschwinden, er setzte sich auf die andere Seite der Stadt zur Großmutter ab. „Zum Glück wird die Gegend hier von den Salvatruchas beherrscht, so gab es keine Probleme.“

Die erste Generation der Maras, das waren Jungs wie Calaca: Sie kamen aus den Armenvierteln von San Salvador, die im Bürgerkrieg wegen der vielen Flüchtlinge immer weiter wuchsen. Siedlungen mit Hütten aus Holz, Wellblech und Karton; stinkende Kloaken ohne Wasseranschluss und Kanalisation. Kaum eine Familie war vollzählig, häufig waren die Väter gefallen oder in die USA gegangen. Die Kinder hatten im Krieg höchstens drei oder vier chaotische Schuljahre hinter sich gebracht und konnten kaum lesen und schreiben. Arbeit gab es nicht. Aber sie hatten Vorbilder: Die abgeschobenen Salvadorianer aus den USA.

Die Jungs aus Los Angeles wurden Cliquenchefs

Rund ein Drittel der Salvadorianer lebt in den Vereinigten Staaten. Allein in Los Angeles sind es 400.000. Dort sind die Mara Salvatrucha und Barrio 18 entstanden. Die Emigranten wohnten oft in Gegenden, die schwarze Streetgangs als ihr Gebiet betrachteten. Die Kinder der Einwanderer aus dem Süden schlossen sich zusammen. Barrio 18 ist eine Gründung von Mexikanern, die es schafften, den Drogenhandel in der 18. Straße zu kontrollieren. Auch Salvadorianer waren dabei, aber die meisten gingen in die eigene Bande, die den Namen der Heimat trägt: die Mara Salvatrucha. Beide Gangs kopierten die schwarzen Originale. Sie handelten mit Drogen und fochten ihre Kämpfe mit der Waffe aus. Manche kamen ins Gefängnis, deportiert wurden sie während des Bürgerkriegs aber nicht. Damit begannen die US-Behörden erst nach dem Friedensschluss. Seither haben sie über 10.000 Salvadorianer mit Streetgang-Vergangenheit zurück in die Heimat verfrachtet.

Die schweren Jungs aus den USA waren die neuen Helden. Calaca bewunderte sie. Sie brachten die Mode der Rapper nach El Salvador: tief sitzende Schlabberjeans und viel zu weite T-Shirts. Sie mischten ihr Spanisch mit Englisch und konnten eine Makarov von einer Sig Sauer unterscheiden, Pistolen, die in Los Angeles in Gebrauch waren. „Wir kannten das alles bloß aus dem Kino“, sagte Calaca. Die Rückkehrer stiegen zu Cliquenchefs auf. Die heimischen Maras gingen in den importierten Verbänden von Salvatrucha und B 18 auf.

Für die Rückkehrer waren die örtlichen Maras ein Auffangbecken, für die Daheimgebliebenen eine Ersatzfamilie. Wer dazugehören wollte, musste sich von allen anderen verprügeln lassen. Tattoos waren Pflicht, dazu ein Schwur auf das Stadtviertel. Untereinander verständigten sie sich in einer Zeichensprache. Mädchen waren nur wenige dabei. Eine neue Jugendkultur der Unterschicht war entstanden.

Das Leben auf der Straße nannten sie „la vida loca“, das verrückte Leben, und es war klar: Das ist nur eine Übergangszeit. Calaca war sechs Jahre lang bei den Salvatruchas. Er hatte in Auseinandersetzungen mit der B 18 einen Streifschuss am Arm und mehrere Stichverletzungen abbekommen. Er hatte eine Freundin und mit der zusammen Yanira, die einjährige Tochter. „Ich sollte mich so langsam beruhigen“, sagte er. So nannte man den Übergang von der aktiven zur passiven Mitgliedschaft. Austreten war nicht vorgesehen. Die Jungs wollten ein Leben lang für einander da sein. Wer desertierte, wurde ermordet.

„Ein Job in einer Autowerkstatt oder in einer Polsterei, das würde mir gefallen“, sagte Calaca. „Aber wer nimmt schon einen mit Tattoos im Gesicht?“ Er dachte darüber nach, sich die Buchstaben von der Stirn entfernen zu lassen.

Dazu ist es nicht mehr gekommen. An einem Abend im Sommer 1999 ging Calaca zum Laden an der Ecke. Ein weißer Pick-up mit abgedunkelten Scheiben fuhr vor. Zeugen erzählen, dass der Mann auf dem Beifahrersitz die Scheibe heruntergedreht und gefragt habe, wer denn Calaca sei. Irgendeiner zeigte auf den schmächtigen Jungen. Der Mann im Auto schoss dreimal, eine Kugel in den Kopf, zwei in die Brust. Calaca war sofort tot. Er war noch keine zwanzig Jahre alt.

Ermittlungen in diesem Mordfall hat es nie gegeben. Viele Mareros wurden damals erschossen; von Todesschwadronen, bezahlt von Bürgern, die die Tätowierten in ihrem Viertel nicht haben wollten. Bischöfe sprachen von „sozialen Säuberungen“. Die staatliche Repression begann später.

Im Jahr 2003 und 2004 überboten sich die damaligen Rechtsregierungen mit zwei martialisch klingenden Anti-Mara-Gesetzen: Dem „Gesetz der harten Hand“ folgte das „Gesetz der superharten Hand“. Polizeieinheiten stürmten nachts die Armenviertel, brachen in Häuser ein und nahmen jeden mit, der Tattoos am Leib hatte. Fast 20.000 junge Männer wurden verhaftet. Die meisten kamen schnell frei, weil es keinerlei Beweise gegen sie gab. In den Nachbarländern Honduras und Guatemala, in denen Mara Salvatrucha und Barrio 18 inzwischen Ableger hatten, gingen die Regierungen ähnlich vor.

Sie lernten, vom Gefängnis aus zu operieren

Henry Campos, der Sicherheitsminister, sagt heute: „Das waren Gesetze für die Fernsehkameras.“ Genützt hätten sie nichts. Im Gegenteil: „Die Maras haben dazugelernt.“ Vorher hatten die Cliquen einer Mara nur lose Verbindungen untereinander. In den Gefängnissen lernten sie sich richtig kennen, schmiedeten Pläne, organisierten sich. Die Gefangenen wurden die neuen Chefs. Und ihre Kumpane draußen wurden unsichtbar. Wer sich mit ihnen treffen wollte, brauchte Kontaktleute, die ihr Vertrauen genießen. Die Voraussetzung: keine Kamera.

 Bürgerkrieg: In El Salvador kämpfte von 1980 bis 1992 die linke Guerilla der FMLN gegen die ultrarechte Oligarchie, ihre Armee und ihre Todesschwadronen. 80.000 Menschen starben. Der Krieg endete mit einem Friedensvertrag. Siebzehn Jahre später gewann die FMLN die Präsidentschaftswahl.

 Alltäglicher Tod: Nach dem Krieg blieb El Salvador das gewalttätigste Land Lateinamerikas. In dem Kleinstaat mit knapp 6 Millionen Einwohnern werden täglich im Schnitt 12 Menschen ermordet, das sind jährlich über 70 pro 100.000 Einwohner. Bei Männern zwischen 20 und 24 sind es 261 pro 100.000 Einwohner.

Die Colonia 22 de Abril ist eines der verrufensten Armenviertel von San Salvador. Links und rechts des steilen Wegs hinauf in die Siedlung türmt sich der Müll. Hunde und Bettler stochern darin herum. Zwischen Steinhäuschen und Elendshütten aus Blech und Karton schlängelt sich die schmale Straße hindurch. Vor jedem Haus wird irgendetwas verkauft: Obst, Süßigkeiten, Brennholz. Kaum jemand hier hat eine geregelte Arbeit. Fremden gegenüber ist man misstrauisch. Man grüßt sie nicht, verfolgt sie mit Blicken. Niemand hier kann mehr erklären, warum dieses Viertel 22. April heißt.

Am Ende einer engen Gasse öffnet sich unvermittelt ein Freiraum. Ein betonierter Fußballplatz. Dort traf sich noch vor fünf Jahren eine Gruppe von jungen Männern.

„Was sollen wir auch anderes tun als kicken?“, fragte Garra und schaute unschuldig. „Hier gibt es sonst nichts zu tun.“ Garra war damals 25 und der Chef der MS-Clique von 22 de Abril. Er hatte einen durchsichtigen Vollbart und blauschwarzes Haar, das aussah, als sei es mit einer Nagelschere geschnitten worden. Er war untersetzt und wirkte nicht eben kräftig. An seinem rechten Bein wand sich eine tätowierte Schlange hinauf, unter die knielange Sporthose. Garra, erklärte er, heiße die Teufelskralle in der Sprache der Maras. Die Kralle war auf seinen Bauch tätowiert.

„Aber keine Tattoos mehr im Gesicht“, sagte er. Alles andere könne man verdecken. „Wenn wir das Stadtviertel verlassen, ziehen wir uns ordentlich an, dann fallen wir keinem Bullen auf.“ Hier im Viertel seien sie sicher. „Die Leute mögen uns.“

Wie das? Man wusste schon damals, dass Maras von jedem Laden und jeder Buslinie Schutzgeld erpressen, von jeder Prostituierten und fast jeder Schule. Dass Passanten, wenn sie nach Hause gehen, ein paar Cent Wegezoll zu entrichten hatten. Und dass man, wenn man einen Killer brauchte, um etwa einen Nebenbuhler zu erledigen, nur Kontakt mit der Mara aufnehmen musste. Für hundert Dollar erledigte sie den Auftrag.

„Andere Cliquen tun das, wir nicht“, flötete Garra und musste selbst darüber lachen. „Wir handeln nur mit Drogen.“ Zwei Verkaufsstände Marihuana, Kokain und Crack habe seine Clique, zwei oben an der Bahnlinie und zwei unten an der sechsspurigen Ausfallstraße. Das bringe genug Geld. „Die meisten von uns ernähren ihre Familie. Onkel, Tanten, Vettern und Basen.“ Das verschafft Respekt – und schlägt Wurzeln in die Gesellschaft.

Heute handeln sie die Drogen tonnenweise

Es war der Drogenhandel, der den vorläufig letzten Sprung in der Entwicklung der Maras ausgelöst hat. Seit in Mexiko Präsident Felipe Calderón mit der Armee gegen die Kartelle vorgeht, weichen diese mehr und mehr nach Zentralamerika aus. Die Maras, früher nur Handlanger für den lokalen Einzelverkauf, haben es nun direkt mit den Kapos zu tun, den Kartellchefs persönlich. Sie denken nicht mehr in Grammrationen, sondern in Kilos und Tonnen. Schutzgelderpressung läuft längst flächendeckend, dazu kommen Entführungen und Waffenhandel. Auch das haben sie von den Kartellen gelernt, genauso wie den Umgang mit Kriegswaffen und die grausamen Morde zur Abschreckung. In El Salvador werden heute wieder zerstückelte Leichen gefunden wie zur Zeit der Todesschwadronen.

„Der Mythos vom Stadtviertel und der eigenen Clique spielt heute keine Rolle mehr“, sagt Sicherheitsminister Campos. „Maras sind Teil des organisierten Verbrechens.“ Dunkle Geschäftsleute, die an die Zukunft denken. In einem abgefangenen Kassiber aus dem Gefängnis heißt es: „Eines Tages wird es vorbei sein mit dem Schutzgeld. Also gebt die Kohle nicht sinnlos aus. Wir müssen das Geld zusammenraffen und legale Geschäfte aufziehen.“ Heutige Mara-Chefs könne man nicht mehr erkennen, sagt der für das organisierte Verbrechen zuständige Kripochef Howard Cotto. „Die wohnen zum Teil in großen Häusern, haben ihr eigenes Geschäft und schicken ihre Kinder auf teure Privatschulen.“

Gegen diese Mafias soll das neue Anti-Mara-Gesetz helfen. Sicherheitsminister Campos ließ sich vom Massaker in Mejicanos nicht einschüchtern. Das Gesetz trat im September in Kraft. Eine Woche später riefen die Maras einen dreitägigen Transportstreik aus. So wurde der Staat zuletzt im Bürgerkrieg von der Guerilla herausgefordert, die heute regiert. Diesmal taten es MS und B 18 gemeinsam. Zum ersten Mal schlossen sich die Todfeinde zusammen und alle Busunternehmen folgten dem Aufruf. Allein der Handel verlor in diesen drei Tagen 40 Millionen Dollar.

Henry Campos zieht noch einen anderen Vergleich zum Bürgerkrieg: „Die FMLN hatte zu ihren besten Zeiten 8.000 Männer und Frauen unter Waffen“, sagt er. „Die Maras haben mehr als doppelt so viele.“ Er überlegt kurz. „Und die besseren Waffen.“

Toni Keppeler, 54, wohnte acht Jahre lang im Einflussgebiet der Mara Salvatrucha. Sein Büro in San Salvador ist im Stadtteil Mejicanos, nur wenige hundert Meter vom Tatort des Busmassakers entfernt