Als das Korrigieren noch geholfen hat

ZEITUNGEN Hype mit Ansage, aber ohne Fortune: „Die Unperfekten“, Tom Rachmans Abgesang auf die Printmedien

Der Einstieg zeigt einen abgehalfterten Journalisten auf der Suche nach Anschluss. Der Einstieg ist stark

VON CHRISTOPH SCHRÖDER

Wir sind Feuilleton. Wir sind Zeitung. Und ständig brauchen wir eine neue Sau, die wir durch unser Dörfchen treiben können. Im gerade abgelaufenen Bücherjahr war Helene Hegemann, mit Verlaub, das Mastschwein, das so viel Speck geliefert hat, das es beinahe für ein halbes Jahr gereicht hat. Und eines der süßen Ferkelchen war möglicherweise Tom Rachman, einer von uns noch dazu. Vor dem Erscheinen seines Romans „Die Unperfekten“ rumorte es gewaltig. Um seinen Debütroman haben, so hieß es, sich die Verlage in den USA gerissen. Vom höchsten Vorschuss aller Zeiten für einen Erstling war die Rede. Es sei ihm gegönnt, schließlich arbeitet er für eine sterbende Branche, und genau davon handelt auch der Roman: Er ist ein Abgesang auf die vermeintlich goldenen Zeiten des Printjournalismus, in denen Reporter noch Dandys und Abenteurer waren, in denen das Korrektorat ein Schreckensregiment in den Redaktionen führten (ja, es gab einmal ein Korrektorat) und in denen auch kleine Zeitungen einen Nachrufschreiber beschäftigten. Eine Zeit, in der Auflagen noch stiegen und Anzeigen noch verkauft wurden.

Tom Rachman, in London geboren, war Auslandskorrespondent der Agentur Associated Press in Rom und Redakteur der International Herald Tribune in Paris. Man kann davon ausgehen, dass er sich im Metier, über das er schreibt, auskennt. Und doch ist der Wurm drin in „Die Unperfekten“, auf eine zunächst nur unklar spürbare, mit zunehmender Lektüre jedoch umso deutlichere Weise, wobei das erste Kapitel das beste und anrührendste des gesamten Buchs ist. Das Gravitationszentrum des Romans ist die Redaktion einer englischsprachigen Zeitung in Rom, gegründet in den fünfziger Jahren von einem schwerreichen Amerikaner namens Cyrus Ott, dessen zunächst als verschroben abgetane Idee sich als Erfolgsgeschichte herausstellen sollte – jedenfalls bis zu dem Tag, an dem die Erben den Geldhahn zudrehen, weil das Blatt, nur „die Zeitung“ genannt, in den von Internet und Finanzkrisen genährten Strudel der Pleite hineingezogen wird.

In einem Reigen von elf Kapiteln führt Rachman elf Charaktere ein (und teilweise vor); neun davon sind Mitarbeiter, eine andere ist eine langjährige Leserin; der Schluss gehört dem letzten Verleger, dem schwächlichen Enkel von Cyrus Ott. Mehr oder weniger geschickt sind die einzelnen Kapitel durch Querverbindungen miteinander verknüpft; am Ende einer jeden Episode läuft ohne inneren Zusammenhang eine Art von Chronik des Verlagshauses von der Gründung bis zu dessen Schließung nebenher. Kompositorisch sonderlich plausibel wirkt das nicht, aber es stört auch nicht, weil Tom Rachman über etwas verfügt, was man in Journalistenkreisen halbironisch eine flotte Schreibe nennt, einen widerstandsfreien Kolumnenstil, der alles in den Griff bekommt, ohne dass es unangenehm wird. Und genau darin liegt auch das Problem des Romans, unter anderem.

Dabei ist der Einstieg wirklich stark: Es zeigt den abgehalfterten Paris-Korrespondenten Lloyd Burko auf seiner Suche nach Arbeit und Anschluss. Das Kapitel demonstriert, wie schnell auch einer, der noch vor kurzem dicht dran war an den Mächtigen, hintenüber fallen kann. Die Depression, die Angst, die Verzweiflung, die hinter der Zeitungskrise bei denjenigen steckt, die Zeitung heute noch machen, wird in diesem Kapitel spürbar und auch später immer wieder einmal, aber leider zu selten.

Die meisten anderen Figuren sind bestenfalls Karikaturen, schlimmstenfalls Abziehbilder. Oder sind die, also wir, wirklich alle so? Die knallharte Chefredakteurin hat keine Zeit zum Mittagessen und ist sogar beim Sex beängstigend dominant. Der allmächtige Korrektor gibt einen Newsletter heraus, in dem er den hasserfüllten Redakteuren ihre Fehler hämisch unter die Nase reibt. Der Kriegsreporter ist ein Drecksack ohne Manieren, aber mit Näschen. Und so weiter.

Hätte Rachman sich auf das Redaktionsszenario und dessen Verfallserscheinungen beschränkt, hätte er wahrscheinlich tatsächlich so etwas schreiben können wie die Kulturgeschichte eines Mediums. Die Anlagen sind da; eine Vermittlung jenes Gefühls, dass alles immer klarer, sauberer, kälter und damit auch seelenloser wird. Aber leider wird all diesen Menschen auch noch ein Privatleben aufgebürdet oder angeklebt, und dieses Privatleben hat, mit wenigen Ausnahmen Seifenopernniveau.

Die Botschaft dahinter ist klar: Ausgerechnet diejenigen, deren Beruf es ist, mit Worten umzugehen, bleiben in den entscheidenden Augenblicken merkwürdig sprachlos. „Die Unperfekten“ ist ein Buch, das in nur ganz wenigen Momenten über sich selbst, über die Krisenhaftigkeit einer Kommunikationsform, hinauskommt. Der große Hype ist dann in Deutschland auch ausgeblieben.

Tom Rachman: „Die Unperfekten“. Aus dem Englischen von Pieke Biermann. dtv, München 2010, 398 Seiten, 14,90 Euro