„Die jüngeren Zielgruppen schrumpfen weg“

GENERATIONEN Brot, Butter, Rheumasalbe? Eine Wissenschaftlerin hat für die Regierung erforscht, wie Ältere einkaufen

■ Die Betriebswirtschaftlerin ist Direktorin des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Für den aktuellen sechsten Altenbericht der Bundesregierung untersuchte sie das Konsumverhalten von Menschen ab sechzig.

INTERVIEW MARIA ROSSBAUER

taz: Frau Gröppel-Klein, ältere Menschen haben Zeit und Geld – eine perfekte Zielgruppe, die kaum bedient wird. Wovor haben die Firmen Angst?

Andrea Gröppel-Klein: Davor, dass sich negative Bilder vom Alter auf das Produkt übertragen. Dass etwa das Auto als weniger kraftvoll, dynamisch und sportlich empfunden wird, wenn man mit älteren Menschen dafür wirbt. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass in den meisten Werbeagenturen die Artdirektoren um die 30 sind. Wenn man jung ist, ist das Alter einfach noch weit weg. Ganz langsam wird Firmen aber bewusst, dass die jüngeren Zielgruppen schlicht wegschrumpfen. Und Unternehmen, die sich auf Ältere einstellen, sind damit sehr erfolgreich.

Warum braucht diese Einsicht so lange?

Bis vor kurzem waren viele Hersteller der Ansicht, ältere Menschen seien durch die drei Us gekennzeichnet: unfähig, unflexibel und unattraktiv. Deshalb bräuchten sie nur Produkte, die die Altersprobleme lindern. Die berühmten Rollatoren, Salben gegen Gelenkschmerzen oder Diabetes-Schokolade. Ältere Menschen galten auch lange per se als markentreu. Die Firmen dachten: Wir brauchen sie nicht als Zielgruppe zu beachten. Wenn wir sie bis 45 gewonnen haben, dann bleiben die uns treu bis zum Lebensende.

Und das stimmt nicht?

Nein. Weil Ältere fürs Einkaufen oft mehr Zeit haben, gucken sie eher nach links und rechts und entdecken neue Produkte. Sie suchen Abwechslung. Wir haben gerade das Konsumverhalten von über 60-Jährigen untersucht und aktuelle Studien ausgewertet. Ältere gehen im Vergleich zu den 30- bis 40-Jährigen ein Drittel häufiger einkaufen.

Was für Geschäfte wollen sie?

Auf keinen Fall den sogenannten Senioren-Fachmarkt. Solche Orte sind absolut verpönt. Natürlich nehmen im Alter aber auch Krankheiten wie zum Beispiel Altersdiabetes zu. Händler sind also auch gut beraten, das Sortiment an Diabetes-Produkten auszuweiten. Allerdings sollte man das unmerklich tun.

Fühlen sich ältere Menschen vom Handel ausgegrenzt?

Ja, manche Verkäufer sprechen keine ganzen Sätze mehr mit Älteren oder verfallen in Baby-Talk. Keiner meint das böse, aber man diskriminiert sie damit. Und Firmen sind auf der einen Seite zwar stolz darauf, eine hundertjährige Unternehmenstradition zu haben. Aber obwohl die meisten Neuwagenkäufer in der Luxusklasse über 50 Jahre alt sind, finden sie keine Automobilwerbung mit älteren Frauen. Es ärgert die Älteren, wenn sie als Models nur bei Produkten eingesetzt werden, die mit dem Alter zu tun haben.

Die Kosmetikfirma Dove warb in einer Kampagne mit Nackfotos älterer Models und dem Slogan: „Schönheit kennt kein Alter“.

Ich fand das sehr mutig. Diese Kampagne hat unheimlich viel bewirkt, den Werbemarkt aufgerüttelt. Aber ob Dove auch noch in Zukunft mit den älteren Models wirbt, muss man abwarten.

Warum?

Die Frage ist: Werden ältere Models von Menschen in ihrem Alter als realistisch wahrgenommen? Wenn alte Menschen in der Werbung vorkommen, dann meist in stereotypen Rollen: die gute Großmutter, der erfahrene Großvater. Viele empfinden sich aber gar nicht so, als würden sie den ganzen Tag Kuchen für die Enkelkinder backen. Sie sind selbst aktiv, berufstätig oder haben eigene Freizeitinteressen. Wenn man ältere Menschen so zeigt, sind das Motive, die auch bei Älteren funktionieren.

■  Die Zielgruppe: Neugeborene Mädchen haben heute eine durchschnittliche Lebenserwartung von 82,4 Jahren, Jungs werden 77,17 Jahre alt. Die heute 80-Jährigen werden im Schnitt noch 8,31 Jahre leben. Im Jahr 2023 sind ein Viertel aller Deutschen über 65 – noch nie hatten Menschen mehr Lebenszeit, um Geld auszugeben.

■  Das Ende der Zielgruppe: In den letzten Jahren beschäftigen sich Kunsthochschulen und Produktentwickler verstärkt mit altersgemäßem Design. Eins der Ergebnisse: Was für Ältere gut ist, ist meist für alle anderen auch besser. So entstand das Motto: „Wer für die Jugend konstruiert, schließt die Alten aus, wer für die Alten konstruiert, schließt die Jungen ein.“

Wie müssen Produkte für Ältere aussehen?

Ältere Menschen unterscheiden sich mehr in ihren Wünschen und Vorstellungen als jede andere Zielgruppe. Viele verbinden das Einkaufen mit dem täglichen Spaziergang, daher brauchen sie kleinere, leichte Produkteinheiten. Die Verpackungen sollten leicht zu öffnen sein. Ältere möchten meist sehr genau über Artikel informiert werden, deshalb muss gut lesbar sein, was auf der Verpackung steht. Wegen ihrer hohen Konsumerfahrenheit lassen sich nichts mehr aufschwatzen. Die Firmen müssten auch eine größere Produktpalette anbieten, mehr Passformen in der Mode etwa.

Das sind alles Punkte, die auch jungen Käufern gefallen würden.

Ja, Ältere könnten auch einen Trend setzen zum höherwertigen, nachhaltigeren Konsum. Sie kaufen sich zum Beispiel ein T-Shirt für 40 Euro. Und nicht wie ein 25-Jähriger für 5 Euro, dafür aber gleich acht Stück. Sie legen mehr Wert auf gute Verarbeitung der Stoffe. Alles Dinge, die für die gesamte Gesellschaft von Vorteil sein könnten.

Wie könnten Schritte hin zu einem Ende dieses Zielgruppen-Denkens aussehen?

Sinnvoll ist sicherlich, in Werbeagenturen mehr altersmäßig gemischte Teams einzusetzen. Ältere können auch die impliziten Diskriminierungen entlarven, die ein Jüngerer gar nicht wahrnimmt. Man könnte dem Thema auch mit mehr Humor begegnen. Vielleicht sagen die Sechzigjährigen dann auch: Wir sind sechzig, wir sehen aus wie sechzig – aber hey, was soll’s.