NRW kommt billig davon

Die behaupteten Milliarden wird die Gesundheitsreform NRW nicht kosten, zeigt ein neues Gutachten der Bundesregierung. Im Bundesrat zustimmen will die Regierung trotzdem nicht

VON MIRIAM BUNJES

Ein Schreckensszenario der CDU ist gestorben: Die neuen Gesundheitsfonds werden die Krankenkassen in NRW höchstens 20,4 Millionen Euro zusätzlich kosten. Zu diesem Ergebnis kommt ein von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) beauftragtes Gutachten. „Für die Versicherten in NRW bedeutet das ein paar Cent mehr Beitrag im Monat“, sagt Boris Augurzky, Leiter des Ressorts Gesundheit beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. „Die finanzielle Belastung der Länder ist kein Grund, die Gesundheitsreform im Bundesrat zu blockieren.“

NRW plant das trotzdem. „So wie die Reform jetzt ist, können wir uns nicht auf ein Ja festlegen“, sagt Rudolph Henke, Fraktionsvize und Gesundheitsexperte der NRW-CDU. „Daran ändert auch die Rürup-Studie nichts, abgesehen davon, dass wir deren Datenlage erst einmal kritisch überprüfen müssen.“ NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) konnte bis zum Redaktionsschluss nicht zum Gutachten Stellung nehmen. „Wir wollen keine Schnellschüsse herausposaunen“, sagte eine Sprecherin. Zuvor hatte der Minister die Reform als „in dieser Form nicht zustimmungsfähig“ bezeichnet – obwohl er als Verhandlungsführer NRWs an ihrer Ausarbeitung beteiligt war. Hauptkritikpunkt: die mögliche Zusatzbelastung der wegen der vielen Einwohner finanzstarken NRW-Krankenkassen durch den Gesundheitsfonds.

In den zentralen Fonds sollen ab 2009 zu hundert Prozent die Beiträge der gesetzlich Versicherten einfließen. Von dort aus wird das Geld in Form von Kopfpauschalen an die Kassen verteilt (siehe unten). Bislang sammeln Kassen die Beiträge selbst ein. 92 Prozent landen schon jetzt in einem zentralen Topf, aus dem das Gefälle zwischen armen und reichen Ländern ausgeglichen wird. Über die restlichen acht Prozent können die Kassen noch frei verfügen.

Was das neue Gutachten mit 20 Millionen berechnet, hat das Kieler Institut für Mikrodatenforschung im Herbst mit 1,95 Milliarden zusätzlichen Euro für NRW durchgespielt. Geld, das vor allem in die Gesundheitsfürsorge der ostdeutschen Bundesländer fließen würde. Ein Szenario, auf das vor allem die Unions-Länder aufsprangen und mit einem Boykott der gesamten Reform im Bundesrat drohten. Der NRW-Regierung ist allerdings schon seit November bekannt, dass die Kieler Daten zumindest für NRW nicht haltbar sind. Eine vom Landesgesundheitsministerium beim RWI in Auftrag gegebene Studie schätzt die zusätzliche Belastung der gesetzlichen Krankenkassen in NRW auf 80 bis 140 Millionen Euro. „Bei 18 Millionen Einwohnern sind das ungefähr fünf Euro mehr im Jahr“, sagt Boris Augurzky vom RWI. Veröffentlichen durfte er die undramatischen Ergebnisse erst vor einigen Tagen. „Wir wurden angewiesen, das Gutachten unter Verschluss zu halten.“

Jetzt sieht die Union in NRW vor allem andere Gründe, die gegen die Gesundheitsreform der SPD-Gesundheitsministerin sprechen. „Die zusätzlichen Abgaben der Krankenhäuser, die Zerstückelung der privaten Krankenversicherung und der Bürokratieaufbau, all das muss korrigiert werden“, sagt CDU-Fraktionsvize Henke. „Es liegen über hundert Änderungsanträge im Bundesrat vor, unsere Entscheidung hängt davon ab, wie stark sie einfließen.“

Das Abstimmungsverhalten der NRW-Regierung im Bundesrat hängt aber auch an der FDP. Zentral, sogar. Denn im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass sich NRW im Bundesrat enthält, wenn eine der beiden Fraktionen gegen den Entwurf ist. Und die FDP lehnt die ganze Reform aus Prinzip ab, will einen privaten Krankenversicherungsschutz. „Die NRW-CDU droht Ulla Schmidt mit einer Entscheidung, die eigentlich längst gefallen ist“, sagt Barbara Steffens, Gesundheitspolitikerin der Grünen-Fraktion. „NRW wird sich enthalten und will vorher noch mal mit den anderen Unionsgeführten Ländern Druck auf die Reform machen.“