„Heute skypen die Menschen sogar im letzten Busch“

LANGZEITTHEATER Mit der digitalen Revolution und ihren Folgen will sich der Schauspieler und Kabarettist Rainald Grebe am Schauspiel Hannover befassen – stolze drei Jahre lang. Jetzt startet die Serie mit „Das Anadigiding“ auf der großen Bühne. Ein Gespräch über fehlende Telefonbuchseiten, überflüssige Technik und Blicke in die Zukunft

■ 43, stammt aus Köln und arbeitet als Liedermacher, Schauspieler, Kabarettist, Regisseur und Autor.

INTERVIEW ALEXANDER KOHLMANN

taz: Herr Grebe, die Uraufführung „Das Anadigiding“ soll der Auftakt zu einer theatralen Langzeitstudie sein. Was verbirgt sich dahinter?

Rainald Grebe: Es ist der Auftakt zu einer Serie, in der die große Revolution unserer Zeit verhandelt werden soll: der Übergang von der analogen zur digitalen Welt. Wir wollen sowohl in die alte Zeit zurückschauen, die meine Generation ja noch kennt, und gleichzeitig auch die Gegenwart und die Zukunft erforschen.

Was bedeutet das im Einzelnen?

Wir zeigen eine Fortschrittsgeschichte der Menschheit. Das wird ein Theaterabend, der aus sehr vielen verschiedenen Elementen besteht, aus Gesprächen und aus nachgestellten Szenen, zum Beispiel aus der Zeit von vor 25 Jahren. Das ist ein sehr wilder Mix, der die Zuschauer auch in den nächsten drei Jahren erwartet. Das Ufo landet am Samstag mit dem Thema und wir zeigen zur Eröffnung in vielen kurzen Anrissen, was wir alles vorhaben. In der nächsten Spielzeit werden wir uns dann auf einzelne Aspekte genauer konzentrieren.

Wird jede Folge auf der großen Bühne spielen?

Nein, die große Bühne nutzen wir für den Start. In der nächsten Spielzeit soll es einmal im Monat eine Veranstaltung in einem kleineren Raum geben und konzentriert auf ein bestimmtes Thema, zum Beispiel zum Gameboy oder zur Geschichte des Briefs. Im dritten Jahr werden wir uns dann mit den Erkenntnissen aus den vielen kleinen Projekten wieder zu einer größeren Aktion auf der Bühne versammeln und dabei auch einen Blick in die Zukunft werfen.

Wie das?

Wir wollen uns fragen, wie die Welt in 20 Jahren aussehen wird, wenn überall 3-D-Drucker rumstehen. Dafür könnte man zum Beispiel Experten einladen und auch mal eine Gesprächsrunde veranstalten – oder einen Vortrag oder auch einen Mix aus beidem.

Was erwartet uns am kommenden Samstag?

Es gibt zum Beispiel eine sehr biografische Szene, in der 1979 im Osten jemand versucht, mit einem alten Aufnahmegerät mit Kassette und Mikrofon den Fernsehton aufzunehmen, während die Familie still sein muss, um Störgeräusche zu vermeiden. Das ist eine ewige Szene, während der furchtbare Musik im Fernsehen läuft. Die Geschichte hat einer unserer Schauspieler erzählt, der damals kein Aufnahme-Kabel hatte und deshalb tatsächlich analog seine Musik aufnehmen musste. Wir zeigen die heute längst vergessenen Schwierigkeiten vom Aufnehmen von Musik in einer Zeit, als man noch die Fenster schließen musste, damit keine Vogelstimmen auf dem Band landeten.

Verraten Sie uns noch etwas vom Programm?

Es wird auch ein minutiöses Erinnern daran geben, wie früher das Telefonieren funktionierte, in der Telefonzelle. Es hat dort immer gestunken, weil jemand reingepinkelt hatte, und es waren immer Seiten aus dem Telefonbuch rausgerissen. Man musste sich kurz fassen, wegen der Schlange davor. Viele Zuschauer werden auch noch das Rubbeln mit den Münzen kennen, damit der Automat sie annahm. Wir wollen uns an die ganz praktischen Vorgänge erinnern, wie das damals war.

In der Zeit vor der Verbreitung der Handys also, als man wirklich weg war, wenn man das Haus verließ …

Genau darum wird es in einer Szene gehen. Wie haben wir uns früher verabredet, ohne Handys? Wie funktionierte das, wenn man sich verpasst hatte? Wie fühlte sich das Warten an, wenn einfach keiner kam und man auch keine Chance hatte, jemanden anzurufen? Dasselbe galt früher auch für den Urlaub. Wenn man gesagt hat, ich bin vier Wochen weg, dann konnte einen niemand erreichen. Und man hat sich nicht dauernd irgendwo gemeldet. Ich war vor Kurzem in Afrika und musste feststellen, dass heute selbst im letzten Busch die Menschen skypen.

Ist Ihr Abend nur ein nostalgischer Rückblick oder auch als eine Kritik an diesem Wandel zu verstehen? Würden Sie das Rad gerne zurückdrehen?

Da bin ich ja immer doch nicht so revolutionär, weil ich dann immer denke, es ist halt so. Mir geht es eher darum, die Kompetenz für bestimmte Techniken durch diesen Abend zu bewahren. Ich würde mir wünschen, dass nicht alles Nicht-Digitale verloren geht. Aber das ist wahrscheinlich eine romantische Vision, denn inzwischen hört man ja schon, dass die Schreibschrift an den Schulen abgeschafft werden soll, weil die Schüler sie angeblich im digitalen Zeitalter nicht mehr brauchen.

■ Premiere: Sa, 28. 6., 19.30 Uhr, Theater Hannover. Nächste Termine: 10., 11. + 12. 7.