„Schwanger ist keine Krankheit“

GLEICHSTELLUNG Die Reichsversicherungsordnung regelt seit 1911 den Mutterschutz – für Angestellte. Selbstständige gehen leer aus: Eine Bremer Arbeitsgruppe will das ändern

■ 47, ist Bremer Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sprecherin der Arbeitsgruppe „Mutterschutzrichtlinie für Selbständige“ in der Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen im Deutschen Anwaltverein.

INTERVIEW ANDREAS KOOB

taz: Frau Wrede, Sie sind selbstständige Anwältin und Mutter. Ist das im Alltag vereinbar?

Beatrice Wrede: Das ist eine Frage von Organisation. Aber auch eine von Rücksicht. Auf meinen Entbindungstermin etwa war ein Gerichtstermin gelegt und der ist auf meinen Antrag nicht verlegt worden. Dasselbe passiert bei anderen Müttern auch.

Eine abhängig beschäftigte Mutter hätte dann schon sechs Wochen Mutterschutz hinter sich. Dann käme die Geburt, dann noch einmal acht Wochen. Wie war es bei Ihnen?

Ich war insgesamt acht Wochen weg und da war Weihnachten mit drin. So lange kann man auch nach einem Unfall ausfallen. Ich habe meine familiäre Situation so organisiert, dass die Kanzlei weiterlief wie vorher. Aber als in der Stadt rum war, dass ich ein Kind bekomme, kamen wesentlich weniger neue Klienten. Für Selbstständige stellt sich die Frage, wie sie mit so einem Umsatzrückgang über die Runden kommen.

Haben Sie eine Antwort?

Es muss Eltern ermöglicht werden, selbstständig zu sein ohne in dieser Zeit, die für abhängig Beschäftigte gesetzlich gesichert ist, in ein Loch zu fallen. Das formuliert seit Juli auch eine verbindliche EU-Richtlinie. Konkret soll es etwa Mutterschaftsleistungen für 14 Wochen geben, die jenen Gewinnverlust abgleichen. Der Gedanke ist noch in den Kinderschuhen. Seit der Bremer Anwältinnenkonferenz im September entwickeln wir als Arbeitsgruppe Vorschläge für die Umsetzung.

Eine freiwillig gesetzlich versicherte Mutter bekommt schon jetzt Geld im Mutterschutz.

Ganz so einfach ist es nicht.

Zumindest Krankengeld. Auf taz-Anfrage sieht das Familienministerium keinen Änderungsbedarf, wie auch die Selbstständigenverbände …

…dann scheint im Familienministerium ohne Zugzwang nichts zu geschehen. Der Europäische Gerichtshof wird sich damit nicht begnügen. Denn, nur für die Möglichkeit, dass sich Frauen gegen jedwedes Risiko, so auch gegen ihre Schwangerschaft, versichern dürfen, braucht es keine EU-Richtlinie. Aus meiner Sicht ist die Rechtslage derzeit ziemlich weit davon entfernt, die zu erfüllen.

Aber: Ist der Schritt in die Selbstständigkeit, neben manchem Privileg, nicht immer auch ein Risiko?

Ich will eine Schwangerschaft nicht als ein Risiko definieren – auch nicht als Krankheit. Fakt ist: Für die qualifizierten Frauen bleibt es eine schwierige Entscheidung – entweder Familie oder Beruf. In manchen Kammerberufen kann man sich vertreten lassen. Aber eine Psychotherapeutin etwa kann ihre Arbeit nur sehr bedingt einer Kollegin überlassen. Durch Unterstützung bei Vertretung oder Kinderbetreuung könnte die wirtschaftliche Belastung gemildert werden, denn bisher zahlen Elternteile die Vertretung ganz aus der eigenen Tasche. Abhängig Arbeitende sind mit ihrem ‚Risiko‘ ja auch nicht allein. Die Wahrheit mag anders aussehen als auf dem Papier – nur bei den Selbstständigen haben wir noch nicht mal etwas auf dem Papier.

Beim Mutterschutz für Arbeitnehmerinnen gab’s Verbesserungen – und niemand fiel ein, eine Regelung für Selbstständige zu schaffen?

Für Arbeitnehmerinnen lag es auf der Hand: es ist eine Frage von Arbeitsschutz. Selbstständige aber durften sich schon immer selbst ausbeuten. Dass dort überhaupt reingeregelt wird, wird noch einen riesigen Streit lostreten. Auch ich als Unternehmerin habe gemischte Gefühle. Zum einen ist die Frage, wie unterstützt man selbstständige Mütter und zum anderen, wen belastet das? Bei Unternehmerverbänden erwarte ich breite Ablehnung, weil man grundsätzlich gegen jede Form der Regulierung ist.

„Nur, damit sich Frauen gegen Schwangerschaft versichern dürfen, braucht es keine EU-Richtlinie“

Die Zahlen von Selbstständigen steigen – aber geht’s in Friseursalons oder Ich-AG nicht prekärer zu als in der Kanzlei?

Darin liegt die Krux, die Situation für alle Selbstständigen einheitlich zu regeln: Viele sagen, ich bin so gut, dass ich keine Abhängigkeit brauche. Anderen bleibt aber keine Perspektive außer Selbstständigkeit, ganz egal, ob Friseurin oder Anwältin.

Worauf kommt es konkret an?

In meinem Beruf geht es darum, Kunden zu halten und neue zu finden: und das ist auch das Wesen der Selbstständigkeit. Wollte der Staat Frauen- oder Selbstständigenförderung betreiben, dann kann er das, wie eben auch mit der Industrie- oder Agrarförderung. Ich will mit anderen wirtschaftspolitischen Segmenten auf einer Stufe gesehen werden. Dort kommen wir aber nicht hin, wenn wir uns schlicht als Frauen positionieren, und auch nicht wenn wir mit Arbeitnehmerinnen auf die gleiche Stufe möchten. Aus meiner Sicht geht es um Wirtschaftsförderung.

Stichwort Elterngeld – nicht vor, aber zumindest nach der Geburt gibt es Geld, auch für Selbstständige. Ist das nicht eine Entlastung?

Gegen das Elterngeld will ich mich nicht wehren – schon gar nicht, wenn Kolleginnen am Existenzminimum leben. Die Anforderungen der Richtlinie gehen aber darüber hinaus. Es braucht passgenaue Instrumentarien, Vertretungen und ähnliche Angebote müssen durchdacht und ausgebaut werden.