Profiteure träger Verwaltungen

Die Modernisierung deutscher Behörden lässt die Bürokratie oft weiter wachsen

BERLIN taz ■ Viele Bereiche von Deutschlands öffentlicher Verwaltung ticken noch wie vor 100 Jahren: undurchschaubar bürokratisch, wenig kundenorientiert und teuer. Gründe dafür gibt es viele: die Verwaltung mit ihren etwa 4,8 Millionen Beschäftigten ist vor allem auf Verlässlichkeit und Zielerfüllung ausgelegt. Laufend erfinden Beamte dabei neue Durchführungsvorschriften, Fachverfahren und Arbeitsgruppen – weniger Effizienz und mehr Administration sind oft die Folge. Ihre eigentlichen Aufgaben können sie dabei leicht aus den Augen verlieren.

„Langfristig beansprucht diese Art der Verwaltung immer mehr Personal. Gleichzeitig werden die Verfahren komplizierter und kundenunfreundlicher“, sagt der Unternehmensberater Bernhard Roland (Name von der Redaktion geändert), der die öffentliche Hand bei der Kooperation mit der Privatwirtschaft und der Modernisierung von Verwaltungsverfahren berät. Seit zehn Jahren entwickelt der Consultant Verbesserungen für öffentliche Verwaltungsstrukturen und meint: „Diese Organisationsform scheitert an sich selbst, wenn es darum geht, die effizientesten Verfahren für Dienstleistungen anzubieten.“

In der Tat fällt es nicht schwer, fragwürdige Aufgaben und Dienste im deutschen Verwaltungswesen zu finden. Beispiel Kriegsopferfürsorge: Bis heute sind die Kommunen für die Zusatzrente zuständig, obwohl es seit etwa 30 Jahren kaum neue Antragssteller gibt. Für das komplexe Regelwerk müssen die 323 Kommunen eigene Sachbearbeiter vorhalten. Auch der Bund pflegt einen fragwürdigen Umgang mit seinen Ressourcen: So sind bis heute nicht weniger als 400 Bedienstete in eine eigene Bundesbehörde abkommandiert, um sich dem Schicksal von verschollenen Wehrmachtssoldaten zu widmen.

Den Millionen Arbeitslosen widmet sich die Bundesagentur für Arbeit, doch sie ist vor allem eine Jobmaschine für sich selbst: 90.000 Menschen arbeiten dort. In Holland ist die Idee einer solchen Behörde unbekannt. Der Vermittlungsmarkt ist privatisiert, die Arbeitslosenquote mit 6,6 Prozent deutlich niedriger als hierzulande.

Wirklich zermürbend können zähe Verwaltungsverfahren in den Kommunen für Bürger und Bedienstete werden. Zwar hat jede Stadt heute ihre eigene Internetseite. Echte Verwaltungsverfahren wie etwa ein Antrag auf Wohngeld können aber bis heute nicht online abgewickelt werden. „Viele der 180 Fachverfahren in Kommunalverwaltungen sind sehr komplex und werden aufgrund der Einwohnerzahlen meist nur relativ selten genutzt“, sagt Bernd Schmitt, Projektleiter von Bürgerservice-Online der Stadt Würzburg. Die Verwaltung der Stadt Würzburg mit ihren 128.000 Einwohnern gehört bundesweit zu den Vorreitern, wenn es darum geht, Verwaltungsverfahren durch den Einsatz von Computerprogrammen zu beschleunigen. „Bei einem Umzug war es bisher nötig, die Adresse eines Bürgers in etwa 30 amtlichen Datenbanken zu ändern“, sagt Schmitt.

Das soll sich ändern. „Unser Ziel ist, nur noch eine kommunale Datenbank mit allen Informationen zu haben.“

Die Mission, über die Grenzen der Kommune standardisierte Verwaltungssoftware zu etablieren, steckt seit Jahren im bürokratischen Dickicht fest – nicht zuletzt wegen fehlender länderübergreifender Koordinierung.

In Würzburg soll im Rahmen einer Public Private Partnership das erreicht werden, was aus eigenen Kräften bisher nicht gelang. Dabei soll der private Partner das Projekt über 10 Jahre vorfinanzieren und seinen Gewinn aus den erzielten Einsparungen ziehen – Schmitt rechnet mit Summen im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich.

Allerdings sind private Dienstleister in diesem Spiel keineswegs die natürlichen Gegner träger Bürokraten. „Ineffiziente Bürokratie und Unternehmen der Privatwirtschaft sind voneinander abhängig. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille“, sagt Roland. Die Privatwirtschaft profitiere von der Unfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, ihre Arbeitsabläufe und Organisationsformen effizient zu gestalten. „Die Privatwirtschaft hat überhaupt kein Interesse am Rückbau des öffentlichen Sektors. Sie will nur die Durchführung ihrer Aufgaben übernehmen“, sagt Roland. TARIK AHMIA