Kairo im Machtvakuum

ÄGYPTEN Polizei verlässt das Zentrum Kairos. Militär bleibt auf den Straßen, geht aber nicht gegen die Proteste vor. Plünderer ziehen durch die Stadt. Ausländer fliehen zu Tausenden

KAIRO taz | Die Polizei hat weite Teile der ägyptischen Hauptstadt Kairo aufgegeben. Doch nicht nur Demonstranten prägen nun das Bild, Plünderer und Brandstifter zogen durch die Stadt. Das Militär blieb an den wichtigsten Knotenpunkten präsent.

Auch gestern protestierten Zehntausende gegen Präsident Husni Mubarak und trotzten der nächtlichen Ausgangssperre. Auf den Straßen war kein Polizist mehr zu sehen. Das Militär machte keine Anstalten, gegen die Menschenmengen vorzugehen. Am Nachmittag flogen demonstrativ Kampfjets über die City. Zuvor hatte sich Mubarak mit den Militärspitzen getroffen. Ob dabei Beschlüsse gefasst wurden, blieb zunächst unklar.

Gegen Plünderer, die vor allem in der Nacht zum Sonntag die Straßen unsicher machten, bildeten sich lokale Bürgerwehren. Ein Augenzeuge berichtete, Hooligans hätten ein Gerichtsgebäude angezündet. Auch ein Krankenhaus soll ausgeraubt worden sein. Plünderer drangen in das weltberühmte Ägyptische Museum ein, stahlen dort Kunstgegenstände und zerstörten Artefakte. Mehrere tausend Kriminelle waren zuvor aus verschiedenen Gefängnissen ausgebrochen. Im Zentrum bewahrten Soldaten drei mutmaßliche Plünderer davor, von Demonstranten gelyncht zu werden, wie der taz-Korrespondent beobachtete. „Das Land fällt auseinander. Überall wird geplündert“, sagte Friedensnobelpreisträger al-Baradei.

Die Zahl der Toten soll inzwischen auf über 150 Tote gestiegen sein. Angesichts der Unsicherheit bemühten sich tausende Ausländer darum, Kairo zu verlassen. Viele strandeten auf dem Kairoer Flughafen. Die Lufthansa will heute für Ausreisende eine zusätzliche Maschine von Frankfurt nach Kairo schicken. Das Auswärtige Amt verschärfte gestern seine Reisewarnung und riet dazu, sorgfältig zu prüfen, ob man unter den gegenwärtigen Umständen eine Reise nach Ägypten antreten will. In den Touristenhochburgen am Roten Meer blieb die Lage indes ruhig. Aber auch um Scharm al-Scheich rückte Militär ein.

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