FEHLEN WEGEN DEUTSCHLAND
: Alt, Bass und Tenor

Unser Bass ist kein Mann, sondern eine ältere Dame

Heute spielt Deutschland bei der Fußball-WM. Mich interessiert das zwar, aber nicht so sehr, dass ich deswegen die Chorstunde verpassen würde. Das Singen gibt mir Energie. Ich kann gar nicht so krank sein, dass ich mich da nicht hinschleppen würde. Aber ob heute überhaupt jemand kommen wird?

Unser Chorleiter hat mich angerufen und gefragt, ob ich dabei bin. Dummerweise hat er nicht gesagt, ob sonst noch jemand sein Erscheinen angekündigt hat. Als ich im Probenraum ankomme, stehen immerhin ein paar Leute herum. Der Chorleiter grinst, als er sagt: „Wie ihr seht, sind nur die Sopranstimmen gekommen. Alt, Bass und Tenor sitzen vor der Glotze.“

Tatsächlich! Unser einziger Bass ist übrigens kein Mann, sondern eine ältere Dame mit Raucherstimme. Die fiebert also nun beim Fußball mit. „Super, ich kann heute den Sopran richtig aufeinander abstimmen“, meint der Chorleiter. Er übt gern mit jeder Stimmlage einzeln, um besser herauszuhören, ob jemand schief klingt.

Was singen wir denn heute? Bloß keine festliche Musik, zu spannungsgeladen ist die Atmosphäre. „Worauf habt ihr denn Lust?“, fragt der Chorleiter. Jemand schlägt den Kriminaltango vor, der passt, Fußball hat schon etwas von einem Krimi. Also singen wir ihn, und natürlich warten wir alle auf die dramatische Stelle, an der es heißt: „Da fällt ein Schuss.“ Es wäre zu schön, wenn es in genau diesem Moment ein Tor gäbe. Das aber passiert nicht.

Dreimal singen wir den Kriminaltango in der Hoffnung auf den Schuss zur passenden Zeit. Dann geben wir auf und wechseln zu „Mein kleiner grüner Kaktus“. Gerade als wir an die Stelle kommen, an der es heißt: „Und er sticht, sticht, sticht“, dröhnt es „Tor“, und Vuvuzelas tröten. Da waren sicher unsere fehlenden Stimmen dabei und noch Hunderte dazu.

ANNETTE SCHWARZ