Ideenmangel und Mummenschanz

TANZTHEATER Gastspiel eines schwer greifbaren Ungetüms der Tanzgeschichte: Bei der Berliner Aufführung des „Triadischen Balletts“ kreist die Akademie der Künste mehr um sich selbst als um den Urheber Oskar Schlemmer

Es klappert und schleift, die Ringe des „Drahtrocks“ zischen leise. Die Choreografie jedoch lässt eine Ahnung vom Eigenleben der Kostüme gar nicht erst aufkommen

VON FRANZISKA BUHRE

„Sie sehen heute die Originalkostüme von 1977“, schwärmt Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste, bei ihrer Begrüßung zu den Berliner Aufführungen des „Triadischen Balletts“. Ende 2013 hat man im Westhafenspeicher Kisten geöffnet und die 18 Kostüme der von Gerhard Bohner nach dem Vorbild des Malers und Theatervordenkers Oskar Schlemmer 1977 erstellten Fassung des Balletts von 1922 bestaunt. Diese wurden nach München gesendet, um sie den jungen Tänzerinnen und Tänzern der Juniorkompanie des Bayerischen Staatsballetts anzupassen oder besser umgekehrt: Die TänzerInnen hatten sich den Figurinen zu fügen. Nun gastierten sie in der Berliner Akademie der Künste.

Denn Schlemmers in drei „Reihen“ zu je vier Tänzen formal angelegtes Ballett gründet auf Hemmung und Einschränkung der Bewegung der Gliedmaßen im Raum. Stattdessen reduziert er die Mechanik menschlicher Glieder auf Grundformen wie Kegel und Ellipsen, die in Form von Polstern oder geometrischen Accessoires am Körper getragen werden. Die Raumformen Kreis und Spirale überträgt er auf den Körper als steife Röcke, Kugeln oder Scheiben.

Das „Triadische Ballett“ ist ein schwer greifbares Ungetüm der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1922 und 1932 wurde es noch viermal in zum Teil veränderten Fassungen aufgeführt, Teile der Kostüme wurden für Aufführungen in Varietés verliehen. Beim internationalen Wettbewerb für Choreografie 1932 in Paris belegte das „Triadische Ballett“ den letzten Platz. Schlemmers Jahre als Meister am Bauhaus in Weimar und Leiter der Bauhausbühne in Dessau waren da schon Geschichte. Neun Figurinen sind erhalten geblieben, die andere Hälfte hat der Choreograf Gerhard Bohner rekonstruiert, die Kostümbildnerin Ulrike Dietrich war damals mit von der Partie, sie ist es auch für die Neufassung.

Art und Auswahl der Materialien und Farben erinnern eher an Faschingsgarderobe oder Disco-Outfits der 70er Jahre, als dass die Kostüme Schlemmers Ideen zum Ineinandergreifen von Licht, Form und Raumbewegung wachrufen. So glänzt die Rockoberfläche der „Tänzerin in Weiß“ wie Plexiglas, wohingegen beim erhaltenen Original ein leichter transparenter Stoff die Taille auf einer Scheibe umspielt. Der Farbauftrag auf dem halbkreisförmigen „großen Rock“ wirkt wie aus dem Kinderladen – Runde um Runde brav und bunt ausgemalt, die Holzscheiben des „Hampelmanns“ haben wohl größere Kinder ausgesägt und angestrichen.

Es klappert und schleift, die Ringe des „Drahtrocks“ zischen leise. Die Choreografie jedoch lässt eine Ahnung vom Eigenleben der Kostüme gar nicht erst aufkommen. Wir sehen schulmäßige Bewegungsfolgen des klassischen Tanzes, wie er vor mehr als 30 Jahren praktiziert wurde, hier und da aufgelockert durch eine Armgeste oder einen seitlichen Ausfallschritt, wie sie in den damals so beliebten Jazz-Dance-Workshops vermittelt wurden. Die jungen TänzerInnen absolvieren ihre Arabesken, Pirouetten auf Spitze, Spagat- und Drehsprung mit heutiger technischer Finesse, nur können sie damit Bohners Ideenmangel für die eigentlichen Protagonisten – Kostüme in Menschengestalt im Raum – nicht ausgleichen.

Ein Touch Avantgarde

Die Musik von Hans-Joachim Hespos überlagert jegliche visuellen Zwischentöne von Anfang an. Sie ist ein Musterbeispiel aus fernen goldenen Zeiten der sogenannten Neuen Musik in der BRD. Gerhard Bohner galt als Leiter des Tanztheaters Darmstadt (seit 1972) als aufgeschlossen gegenüber aktueller komponierter Musik und konnte dank großzügiger Förderungen, unter anderem von der Akademie der Künste, Originalkompositionen für seine Ballette beauftragen. Hespos ließ sich für das „Triadische Ballett“ nicht lumpen und setzte einen elfköpfigen Bläserapparat plus Saiteninstrumentalisten, Klavier und vier Schlagzeugern an. Dementsprechend klingt die Musik: Die Geräuschwerte der Instrumente überwiegen mit lärmenden Bläsern und perkussiven Streichern, Tonbandzuspielungen verheißen einen Touch Avantgarde.

Hertling bemerkt am Aufführungsabend lapidar, die Musik sei „im Sinne Schlemmers“ entstanden, und Dirk Scheper, ihr damaliger Kollege in der Akademie, pflichtet ihr im Programmheft bei. Die Kunsthistorikerin Ina Conzen hingegen belegt in ihrem Beitrag, dass Schlemmer seinerzeit die Musik von Paul Hindemith für mechanische Orgel gefallen habe.

Gerhard Bohner starb 1992, die verbliebenen Produktionshelfer seiner Fassung des „Triadischen Balletts“ vollführen heute lediglich Besitzstandswahrung. Es braucht andere, Schlemmers Idee von „der Bereicherung des Tanzes durch den Mummenschatz“ zu verwirklichen.