Liberaler Fürsprecher

Der Ex-Landeschef der FDP, Schultz-Tornau, betreut mit Kindsmörder Gäfgen eine Stiftung. Sühne sei möglich

Joachim Schultz-Tornau glaubt an das Gute im Menschen. „Jeder Verbrecher kann in die Gesellschaft wieder aufgenommen werden“, sagt er. Auch einer wie Magnus Gäfgen, der im Jahre 2002 den Bankierssohn Jakob von Metzelder ermordet hat. Mit ihm sitzt Schultz-Tornau nun in der „Stiftung für jugendliche Verbrechensopfer“, die in Koblenz ihren Sitz hat und junge Opfer beraten will. Sie wurde in den Medien oft als „Gäfgen-Stiftung“ tituliert, was für Schultz-Tornau eine „bewusste Irreführung“ ist. Diesen provokativen Namen hätten sie nie gewählt. Mit Gäfgens Engagement hat der 63-jährige Jurist allerdings kein Problem. „Warum soll ein verurteilter Straftäter nicht Verbrechensopfern helfen?,“ fragt er.

Seine Partei, deren Landesvorsitzender er zwei Jahre lang in den 1990ern war, kann dies offenbar nicht nachvollziehen. FDP-Innenminister Ingo Wolf bescheinigte der Stiftung „ein Geschmäckle.“ Unsäglich findet das Schultz-Tornau und wirft Wolf, selbst Schirmherr einer umstrittenen weil weitgehend untätigen Kinderstiftung, eine hysterische Diskussion vor. „Das ist der Rückfall in die 1950er Jahre“, sagt er aufgebracht. Die Vorstellung lebe wieder auf, dass Verbrecher den bürgerlichen Tod sterben, von der Gesellschaft für immer ausgeschlossen werden müssten. Das sei nahe dran an der Todesstrafe.

Eine Vorstellung, die den heutigen Rechtsanwalt schaudert. Sein Leben lang hat er den Kontakt zu den Verurteilten gesucht. Nordrhein-Westfalen hat Schulz-Tornau über die Gefängnisse kennen gelernt. Als er 1971 als Referendar ins Land kam, hatte das Justizministerium ähnliche Schreckensmeldungen über Gewalt und Missbrauch im Knast zu vermelden wie das heutige. Der junge Schultz reiste durch die Haftanstalten von Aachen nach Minden, im Schlepptau seines heutigen Idols: Werner Maihofer, ebenfalls Liberaler und Rechtswissenschaftler und umstrittener Bundesinnenminister zur Zeit des Deutschen Herbstes. Sein Eleve teilte aber nicht nur seine liberale Rechtsphilosophie. Auch will er eine sozialere FDP, eine Bürgerrechts-FDP.

Doch die Partei möchte keinen, der mit Kriminellen am Tisch sitzt. Heute so wenig wie vor zwei Jahren. Schon im Mai 2005 distanzierte sich die damalige Parteiführung mit „Entsetzen“ von ihrem Bielefelder Abgeordneten. Damals wurde Schultz-Tornau amtlicher Betreuer von Gäfgen, veröffentlichte auf seiner Homepage ein „Plädoyer für einen Mörder“. Schultz-Tornau wich keinen Zentimeter von seinem Schützling ab. Auch heute sagt er: „Es gibt kaum einen Fall, in dem die Diskrepanz zwischen Täter und Tat größer ist als bei Gäfgen.“ Es gehe um Sühne, nicht um Rache.

Noch in diesem Monat will Schultz-Tornau seine FDP-Mitgliedschaft von NRW nach Berlin verlagern, seinem Wohnsitz. Denn dass sich die Hysterie in Nordrhein-Westfalen wieder legen wird, den Glauben hat Schultz-Tornau verloren.

ANNIKA JOERES