Wieder Priesterrücktritt in Polen

Da das Episkopat der katholischen Kirche die Aufarbeitung von Schuld und Verrat in den eigenen Reihen nicht angehen will, tun dies nun die Stasi-Opfer. Sie veröffentlichen die Namen ihrer Verfolger. Mit weiteren Amtsniederlegungen ist zu rechnen

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

„Der Vatikan hat uns gerettet“, meinen viele Polen nach dem überraschenden Rücktritt des Erzbischofs von Warschau. Am Sonntag hätte Stanisław Wielgus mit einer feierlichen Messe in sein Amt eingeführt werden sollen. Doch da hatte auch Papst Benedikt XVI. begriffen, was die polnischen Medien seit Tagen berichteten: Wielgus ist ein langjähriger Stasispitzel, Karrierist und Lügner. Seine Ernennung durch den Vatikan ging auf eine bewusste Fehlinformation durch das polnische Episkopat zurück, wie jetzt bekannt wurde. Im letzten Moment zog der Vatikan die Notbremse, legte dem gerade erst ernannten Erzbischof den Rücktritt nahe und beauftragte Primas Glemp, sein Amt bis auf weiteres fortzuführen.

Doch nun ist auch der Primas selbst in die Kritik geraten. Immerhin war er es, der die Wielgus-Unterlagen für den Vatikan vorbereitete. Schon in Solidarność-Zeiten war er oft für seine zu obrigkeitsfreundliche Haltung kritisiert worden. Wie seine Predigt am Sonntag zeigte, scheint er bis heute kein größeres Problem mit den Stasikontakten kirchlicher Würdenträger in Polen zu haben. Allerdings stehen der katholischen Kirche Polens nun schwere Zeiten bevor.

Nur einen Tag nach dem Rücktritt des Warschauer Erzbischofs trat der Prälat der für den nationalen Widerstand gegen das kommunistische Regime bedeutenden Wawel-Kathedrale in Krakau zurück. Auch er hatte Spitzeldienste für die Stasi geleistet. Sein Rücktrittsgesuch wurde sofort angenommen. Mit weiteren Rücktritten wird gerechnet.

„Der Kampf um die Wahrheit kostet viel Kraft“, stöhnt Tadeusz Isakowicz-Zalewski. Der Krakauer Priester ist ein Vorkämpfer für die Wahrheit in seiner Kirche. Im Episkopat sieht man aber seine Anstrengungen, Licht in die Stasi-Verstrickungen zu bringen, mit Skepsis und Misstrauen. Fast wäre sein Buch der Kirchenzensur zum Opfer gefallen. Doch die Gläubigen stehen auf seiner Seite. So musste Kardinal Dziwicz in Krakau das gegen Isakowicz-Zaleski verhängte Redeverbot wieder aufheben. Das Buch darf erscheinen. Und Primas Glemp entschuldigte sich bei dem Priester dafür, dass er ihn einen „Stasi-Mann der schlimmsten Sorte“ genannt hatte.

„Ich weiß gar nicht, warum die sich so anstellen“, erklärt der 51-Jährige geradeheraus. „Natürlich steht in den Stasi-Akten viel Schlechtes. Priester und Bischöfe haben oft ihre Werte verraten und mit der Stasi zusammengearbeitet. Aber die Akten stellen der katholischen Kirche auch ein Ruhmesblatt aus. Es gibt viele Helden unter den Priestern, Mönchen und Nonnen.“

Berühmt für den Widerstand ist nicht nur der Priester Jerzy Popiełuszko, der vom Geheimdienst ermordet wurde. Berühmt ist auch Pater Henryk Jankowski aus Danzig, der in den 80er-Jahren die streikenden Arbeiter der Lenin-Wert unterstützte. Kürzlich veröffentlichte er die Namen der 20 Agenten, die auf ihn angesetzt waren, darunter sechs Priester und ein Bischof.

Auch Isakowicz-Zaleski gehört zu den Aufrechten in der katholischen Kirche. Anders als Wielgus unterschrieb er nie eine Stasi-Verpflichtungserklärung, anders als er konnte er dann aber auch nicht ins Ausland reisen. Auch den Traum von einer wissenschaftlichen Karriere musste er aufgeben. Sein Engagement für die Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung bezahlte er fast mit seinen Leben, so schwer wurde er zweimal hintereinander von Stasi-Agenten verprügelt. Aber für die Gläubigen ist der Priester ein großes Vorbild.

Einst stand die katholische Kirche für Freiheit, Demokratie und Souveränität. In der stalinistischen Zeit und insbesondere während des Kriegsrechts, das General Jaruzelski 1981 über das Land verhängte, war sie auch ein Zufluchtsort für viele Intellektuelle. Damals hatte die Kirche eine hohe moralische Autorität. Davon ist heute nicht viel geblieben. Auch wenn die Gottesdienste nach wie vor gut besucht sind.