Die große Nacht-Offensive

Penny- und Rewe-Märkte in Hamburg und Schleswig-Holstein öffnen jetzt bis 22 Uhr abends. Rentiert sich die späte Öffnung, will der Arbeitgeberverband Nachtzuschläge kürzen. Ver.di spricht von einem „Anschlag auf die Arbeitsbedingungen“

Von Kaija Kutter

Relativ unspektakulär, so schien es, begann in Hamburg am 2. Januar das Ende des gesetzlichen Ladenschlusses. Die Läden könnten werktags von null bis 24 Uhr öffnen, doch viele Kaufhäuser in der City hatten nur donnerstags und freitags ein, zwei Stunden länger auf (siehe unten). Gleich zweimal hingucken musste aber, wer am Samstag beim Rewe-Supermarkt an der Ecke den Wochenendeinkauf tätigte: „22 Uhr“, steht in Riesenlettern weiß auf rot am Eingang. Von Montag bis Samstag haben diese Läden fortan bis zehn Uhr abends geöffnet.

Gähnende Leere in einer Filiale in Rahlstedt, am Ostrand der Stadt. Es ist 21 Uhr, nur eine Kundin betritt den Laden, während drei Mitarbeiter Ware in die Regale räumen. Ein Verkäufer erschrickt beinahe, als er die Frau sieht. Er müsse an drei Abenden so spät arbeiten und habe dann noch eine Stunde Fahrt, berichtet er. Kunden kämen fast keine. „Nur fünf bis zehn am Abend.“

Draußen ist es dunkel, der Parkplatz leer. Zwei junge Männer wanken von der Tankstelle an der gegenüberliegenden Straßenseite herüber und wollen einen Preisvergleich für Cola und Bier anstellen.

„Wir sind überzeugt, dass die längeren Öffnungszeiten funktionieren“, sagt Andreas Krämer von der Pressestelle der Rewe-Group anderntags am Telefon. In 41 Rewe-Filialen und 90 Penny-Märkten gelten seit Januar die Spätöffnungszeiten. Die Sache sei „dauerhaft“, man habe „keine Deadline gesetzt, um zu sehen, ob es funktioniert“. Am Vorbild Berlins, das schon Mitte Dezember mit diesen Öffnungszeiten startete, merke man, „dass die Kundenzahl von Woche zu Woche steigt“. Auch wisse Rewe aus den Erfahrungen mit der vor Jahren eingeführten Öffnung bis 20 Uhr, dass es ein halbes Jahr dauert, dies „beim Kunden in Fleisch und Blut übergegangen ist“.

Nach Informationen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di startet Rewe im Norden einen Testlauf, der am 30. September ausgewertet werden soll. Unterschreite eine Rewe-Filiale den Mindestumsatz von 500 Euro pro Stunde – bei Penny 300 Euro – sollten dort künftig wieder die alten Öffnungszeiten gelten. So soll es der Betriebsrat in einer Vereinbarung verhandelt haben, die den VerkäuferInnen ein wenig Schonung zusichert: Sie dürfen nicht länger als zehn Stunden am Stück arbeiten und haben mindestens elf Stunden Ruhezeit bis zur nächsten Schicht.

Auf „generelle Freiwilligkeit“, wie von ver.di gefordert, basiert der neue Dienstplan aber nicht. „Dann wäre es etwas schwierig, die Marktmannschaften zu füllen“, räumt Unternehmenssprecher Krämer ein. Die längeren Öffnungszeiten würden ohne zusätzliches Personal gebildet.

Ulrich Meineke, der bei ver.di-Hamburg zuständige Sekretär für den Einzelhandel, spricht von einem „Anschlag auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Einzelhandel“. Auf deren kosten starte Rewe den Versuch, im Verdrängungswettbewerb durch längere Öffnungszeiten die Nase vorn zu haben. „Wir hoffen, dass die Kunden das nicht annehmen und die Konkurrenz die Füße ruhig hält und dem Beispiel nicht folgt“, sagt Meineke.

Auch Ulf Kalkmann, Sprecher des Hamburger Einzelhandelsverbands nennt die Rewe-Öffnungszeiten „ambitioniert“. Er geht davon aus, dass sich im gesamten Einzelhandel eine tägliche Spätöffnung nur für die Weihnachtszeit durchsetzten wird.

Sollte aber Rewe mit seiner Strategie richtig liegen, droht Hamburgs VerkäuferInnen sogar der Verlust der derzeitigen Spät- und Nachtarbeitszuschläge. Nach dem bis vor kurzem gültigen Manteltarifvertrag gab es für Arbeit nach 20 Uhr eine „Zeitgutschrift“ von 50 Prozent. Sprich jede Stunde, die nach acht Uhr abends gearbeitet wurde, wurde wie anderthalb Stunden angerechnet. Diesen Zuschlag bekommen auch die Rewe-VerkäuferInnen.

Doch der Manteltarifvertrag wurde inzwischen von der Arbeitgeberseite gekündigt. „Die Zeitgutschrift wurde vereinbart, als niemand daran dachte, dass nach 20 Uhr jemand arbeiten könnte“, rechtfertigt sich Heinrich Grüter, der Tarifgeschäftsführer des Hamburger Einzelhandels. Gesetzt den Fall, es gebe einen „run“ auf die neuen Öffnungszeiten, müsste man diese auch anbieten und sich „über die Kosten unterhalten“. Ulrich Meineke formuliert es anders: „Die holen sich das Geld, das ihnen durch die lange Ladenöffnung verloren geht, von den Beschäftigten zurück.“