die taz vor 11 Jahren über den Moderator Lutz Bertram und die Stasi
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„Es war eine Fernsehsendung von historischem Rang“, meint ORB-Intendant Rosenbauer zum Interview mit Lutz Bertram, in dem dieser zu seiner Stasi-Verstrickung befragt wurde. Mag sein, daß dies zu hoch gegriffen ist. Viel wichtiger ist, daß dies die letzte Sendung dieser Art bleiben könnte, in der sich ein IM (wenn auch unter äußeren Druck) freiwillig der Öffentlichkeit stellt, wenn die Debatte über den Kult-Moderator des ORB so weitergeht. Denn es dominiert das Denken in groben Rastern: schuldig oder nicht schuldig, Täter oder Opfer.

Das zeigt, in welchem Dilemma die Debatte über Stasi steckt: Vieles wird auf die Stasi und den Unrechtsstaat DDR reduziert. Zeit, die Stasi-Mitarbeit von Bertram zu diskutieren, sich Motive erklären zu lassen, ohne sie sofort moralisch zu bewerten, bleibt kaum noch. Bertram selbst trägt daran auch Schuld, weil er zu vieles im dunkeln läßt; vielleicht hängt das ja mit ersterem zusammen. Bertram ist einer der populärsten Journalisten aus dem Osten, und er hat mit seiner Arbeit das im Westen weitverbreitete Vorurteil widerlegt, unverbrauchte Neugier, hartes Fragen und gleichzeitige Fairneß seien journalistische Tugenden, die jenseits der Mauer auf immer und ewig verkümmert sind. So gesehen ist Bertram auch ein Beweis für die Lernfähigkeit von Leuten, die ihr ideologisch geprägtes journalistisches Handwerk in der DDR gelernt haben. Er repräsentiert mit dem langen Verschweigen seiner Stasi-Tätigkeit zugleich ein Versäumnis des Ost-Journalismus: Eine unbequeme Diskussion über die politischen Verstrickungen, einschließlich der Kontakte zur Stasi hat es in den Redaktionen nicht gegeben – von einem kurzem Aufflackern nach dem Herbst 1989 abgesehen. Dazu haben die großen westdeutschen Verlage, die im Osten fast flächendeckend Zeitungen aufgekauft haben, beigetragen. Wer Geld verdienen will, kann eine solche Debatte nicht gebrauchen, sie stört nur das Geschäft. Jens König, taz 10. 1. 1995