AM CONTAINER
: Der Wutanfall

Sein Tonfall kippt beim Stichwort „Reißwolf“ ins Aggressive

Nicht unfreundlich gesinnt, nähert sich der ältere Herr mit schlohweißem Haar der Kleidersammelstelle, an der ich gerade stehe und sackweise Kleider einwerfe, Ecke Adalbertstraße/Bethaniendamm. Er lächelt höflich, ich auch. In Sichtweite links campieren polnische und italienische Punks in ihren alten Mercedes, rechterhand spielen im Sandkasten des Kinderbauernhofs Kinder in ihren Finkid-Kleidern, die auch gebraucht gerne gegen 100 Euro kosten. Dort steht unscheinbar unter einem Gebüsch ein Holzverschlag mit gebrauchten Kleidern und Büchern, manchmal auch Spielzeug zum Mitnehmen.

„Bringen Sie Ihre Kleider doch da drüben zum Kinderbauernhof“, schlägt er freundlich vor. Ich nicke ebenso freundlich und erkläre, dass ich das noch vorhabe. Allerdings nur für die guten Stücke, die in der jetzigen Ladung noch nicht mit dabei sind, sondern aussortiert zu Hause liegen.

Ohne meine Antwort abzuwarten, fährt er fort: „Wissen Sie, die sind arm und bedürftig beim Kinderbauernhof. Hier aber kommen die Kleider in den Reißwolf – Reißwolf!“ Sein Tonfall kippt beim Stichwort „Reißwolf“ ins Aggressive, vermutlich unabsichtlich zeigt mir der nun nicht mehr ganz so freundliche ältere Herr mit schlohweißem Haar seine Zähne. „Ja, ich weiß“, antworte ich möglichst souverän, da fällt er mir bereits cholerisch ins Wort: „Ich habe da mal so eine Doku im Fernsehen gesehen. Wissen Sie, das ist richtig übel.“ Der Mann, der so großväterlich um die Ecke geschlendert kam, wird immer wütender, sein Gesicht verfärbt sich zuerst rot, dann dunkelrot. Ich nicke, möglichst höflich. Ganz nahe stellt er sich zu mir und der Kleidersammelstelle und blickt mich aufgebracht an: „Das kommt nicht den Bedürftigen zugute, wissen Sie.“ Ich denke an meine mottenzerfressenen T-Shirts und ausgeleierten Unterhosen. „Ja, ich weiß“, murmle ich, „ich kenne diese Doku.“ GINA BUCHER