Auf eine Karte gesetzt

VERKEHR Das eTicket soll das alte Tarifzonenmodell ablösen. Das wird nicht ohne Probleme gehen – vor allem beim Datenschutz

Das große eTicket-Versprechen lautet: Abrechnung pro gefahrenem Kilometer

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Haben Sie ein Zeitkarten-Abo von BVG oder S-Bahn? Nein? Selbst schuld, denn sonst hätte für Sie schon ein bisschen die Zukunft begonnen: Abo-Kunden halten dem Busfahrer beim Einsteigen keinen Papierschnipsel mehr vor die Nase, sondern ein buntes Plastikkärtchen mit integriertem Chip. Noch fehlen funktionierende Lesegeräte, noch nickt der Fahrer etwas ab, das er eigentlich gar nicht überprüfen kann. Aber das soll sich bald ändern. Höchste Zeit, sich Gedanken über elektronische Fahrkarten zu machen – und über die Probleme, die sie mit sich bringen können.

Theoretisch müssten längst alle BerlinerInnen mit der elektronischen fahrCard unterwegs sein. Denn schon 2005 verkündete der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) die baldige Ausgabe von Chipkarten und die Ausstattung aller Busse mit Lesegeräten. Viel zu optimistisch, wie sich herausstellte. Aber seit Ende 2013 haben immerhin schon alle Berliner Abo-Kunden die fahrCard, und bis 2016 sollen auch die Brandenburger Abonnenten versorgt sein.

Mobile – und funktionierende – Lesegeräte kommen schon bei der Kontrolle in U- und S-Bahn zum Einsatz, und in diesem Jahr will die BVG zumindest in einem Teil der Busflotte welche anschrauben. Dann heißt es irgendwann: Chipkarte ans graue Kästchen, Piepton abwarten, durchtreten.

Für Nichtabonnenten bleibt es erst einmal beim Papier: Eine fahrCard für Gelegenheitskunden ist laut VBB-Sprecherin Elke Krokowski derzeit nicht geplant. Wahrscheinlich kommt sie trotzdem irgendwann: Weil zwei parallele Bezahlsysteme betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll sind – und weil die elektronische Fahrkarte für alle der Kern des sogenannten eTicket-Konzepts ist. Entwickelt wurde es im Auftrag des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dem alle wichtigen deutschen Verkehrsunternehmen und -verbünde angehören.

Das eTicket hat verschiedene Anwendungsstufen, und der elektronische Fahrschein, wie ihn die VBB-Abokunden jetzt haben, soll noch nicht alles gewesen sein. Das große eTicket-Versprechen lautet „automatisierte Fahrpreisfindung“. Das bedeutet, dass alle Nutzer auf jeder Teilstrecke, die sie zurücklegen, mit der Chipkarte einchecken und auschecken – und das System ermittelt den exakten Preis für die zurückgelegten Kilometer. Das alte Tarifzonenmodell wäre damit obsolet.

Das Fernziel der eTicket-Erfinder nennt sich Deutschlandcard – so ist zumindest der Arbeitstitel: eine elektronische Fahrkarte, mit der man bundesweit mobil sein kann, die in allen Verkehrsverbünden erkannt wird und funktioniert. Nach Angaben der eTicket GmbH in Köln, einer Ausgründung des VDV für die Umsetzung seiner großen Pläne, führen derzeit alle großen deutschen Verkehrsverbünde, mit Ausnahme von München, schrittweise die Chipkarte ein. Laut Sprecher Daniel Krings wird in einigen kleinen Verbünden – etwa Heilbronn – schon das Check-in-/Check-out-Verfahren angewandt.

Wer zahlt drauf?

So reibungslos läuft es nicht überall: Der große Rhein-Ruhr-Verbund VRR hat gerade einen solchen Modellversuch auf Eis gelegt. Beim VRR heißt es, man versuche es lieber erst einmal mit „Smartphone-Lösungen“.

Und was macht der heimische VBB? Er gibt sich zugeknöpft: Für ein neues Abrechnungssystem gebe es „derzeit noch keine konkreten Planungen“, so Sprecherin Krokowski – und tatsächlich ist man ja im Verbund noch weit davon entfernt, die technischen und organisatorischen Voraussetzungen zu erfüllen.

Trotzdem meldet der Fahrgastverband igeb bereits Bedenken an: Es könne schon sein, so Sprecher Jens Wieseke, dass die heutigen Zonen-Tarife im Einzelfall ungerechter seien als eine kilometergenaue Abrechnung. Aber einfache Tarife hätten „die Funktion, die Hemmschwelle zur Nutzung des ÖPNV zu senken“. Deswegen müssten sie auch künftig angeboten werden. Und auch der umgekehrte Fall liegt nahe: Wer täglich weite Wege zurücklegt müsste drauflegen.

Kritik übt der Igeb aber auch schon am derzeitigen Ausbaustand des fahrCard-Systems. Es gebe eine Beweislastumkehrung, so Wieseke: Wenn eine gültige fahrCard bei einer Kontrolle technisch nicht lesbar sei, werde sie eingezogen. Der Nutzer müsse dann ein Einzelticket kaufen, das nur auf Antrag erstattet werde. „Hier wird etwas auf den Kunden abgewälzt, für das er nichts kann.“

Besonders problematisch beim eTicket ist der Datenschutz. Spätestens wenn es zum Check-in-/Check-out-Prinzip kommen sollte, ließe sich das System dazu missbrauchen, Bewegungsprofile von Kunden zu erstellen. Letzteres ist in begrenztem Umfang auch gewollt, denn nur so lassen sich Reklamationen prüfen. Die Igeb fordert deshalb jetzt schon, die eTicket-Technologie per Bundesgesetz zu regeln: „Dann müssten alle künftigen Änderungen auch durchs Parlament, und es wäre klar, wer wo was sammelt“, so Wieseke.

Übrigens sind auch Chipkartenmodelle denkbar, die mit weniger Makeln behaftet wären. Die Berliner Grünen etwa schlagen seit einiger Zeit eine Mobilitätskarte nach dem Prinzip der „Bestpreisabrechnung“ vor. Es wäre eine Art Prepaidcard, von der bei jeder Fahrt der Preis eines Einzeltickets abgebucht würde – aber nur bis zu einer Höchstgrenze, die dem Preis der Umweltkarte entspricht.

Das würde bedeuten: keine Bewegungsprofile, günstige Preise, Benutzerfreundlichkeit. Nur kommen wird diese Karte wohl nicht. „Wir haben das Konzept dem VBB vorgestellt“, sagt der Verkehrsexperte der Grünenfraktion, Stefan Gelbhaar – aber die seien „in ihrer Spur“.