Freundschaft zerbricht am Protest

über den Protest der Mittelschicht

NORA MBAGATHI

Unsere Autorin, 23 Jahre alt und Berlinerin, studiert seit drei Jahren in Kairo. Sie berichtet vom Alltag im aktuellen Chaos der Demonstrationen gegen Staatspräsident Mubarak.

In Kairo zerbrechen in diesen Tagen viele Freundschaften. Vor den Gewaltausbrüchen Dienstagnacht ist die Meinung über den Fortlauf der Proteste nach Mubaraks Ansprache gespalten. „Die obere Mittelschicht ist verloren“, glaubt Osman.Viele finden, dass die Zugeständnisse des Präsidenten ausreichend sind.

„Wir bitten ihn ja schließlich nicht, einen Kiosk oder Supermarkt aufzugeben, sondern ein ganzes Land“, sagt die 23-jährige Wirtschaftsstudentin Bassma, deren Brautjungfer ich im April sein soll. Doch nicht alle sind überzeugt.

Während ich noch mit meiner Mutter am Telefon darüber streite, wie gefährlich es wäre, zum Tahrir-Platz zu gehen, ist meine Nachbarin bereits auf dem Weg dorthin. Zehn Minuten später finden Straßenkämpfe zwischen den Demonstranten und angeblichen Pro-Mubarak-Protestlern statt. „Schon komisch, diese Pro-Mubarak-Leute“, bemerkt Ashraf später, „die sind erst tagelang nicht zu sehen, kommen dann bewaffnet auf Pferden und Kamelen und haben keine Frauen und Kinder in ihren Reihen.“

Die Anspannung ist spürbar. Unsere engsten Freunde sind auf dem Platz von gewaltbereiten Gegnern umzingelt, und unter unserem Balkon fallen Schüsse. Selbst wenn wir wollten, wir kämen nicht zum Tahrir. Wir sitzen wie gebannt vor Fernseher, Facebook und Twitter und warten auf Nachricht. „Ich habe das Kind von jemandem gefunden! Unter zwei Jahren, grüne Augen. Bitte weiterleiten“, twittert jemand vom Platz. Ab und zu fängt einer von uns an zu weinen.

Besonders wütend werden daher alle, wenn Freunde auf Facebook zum Dialog zwischen den beiden Parteien aufrufen. Ein ägyptischer Freund aus den USA verlangt allgemeine Ruhe und ein Ende des Tötens. Er ist merklich schockiert, als man ihm klarmacht, dass dies hier zurzeit mit Verrat an den gemeinsamen Freunden gleichbedeutend ist.

Am späten Abend sitzt Ashraf über den Laptop gebeugt. Auf die Frage, was er mache, antwortet er: „Facebook. Ich entscheide, wen ich nach heute nicht mehr kennen möchte.“ In Kairo sind heute viele Freundschaften zerbrochen.