Lukaschenko will klein beigeben

Weißrussland meldet Einigung im Energiestreit – Russland dementiert. Gestern floss jedoch noch kein Öl durch die „Druschba“-Pipeline. Offenbar ist die Regierung in Minsk aber inzwischen bereit, auf die Durchleitungsgebühr zu verzichten

AUS MOSKAUDAVID NAUER

Gestern griff der weißrussische Autokrat Alexander Lukaschenko zum Telefon und meldete kurz darauf, er habe sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Energiestreit geeinigt. Weißrussland sei bereit, auf die neue Gebühr für die Durchleitung russischen Öls zu verzichten und nun werde das Öl wieder fließen. Doch der russische Pipeline-Betreiber Transneft dementierte kurz darauf, dass der Ölhahn wieder offen sei. Sollte bereits Öl im Westen ankommen, könnten das allenfalls die 80.000 Tonnen sein, die Weißrussland vor kurzem gestohlen habe. Erst wenn dieses Öl eingespeist sei, werde Russland die Lieferungen wiederaufnehmen. Bis zum frühen Abend war in Deutschland noch kein Öl angekommen.

Seit Anfang der Woche ist kein Tropfen mehr durch die „Druschba“-Pipeline geflossen, die Deutschland und zahlreiche weitere EU-Staaten mit Öl versorgt. Der russische Exportmonopolist Transneft hatte in der Nacht zum Montag den Hahn zugedreht und Weißrussland beschuldigt, aus der Transitleitung Öl abgezapft zu haben.

Während Westeuropa in Sorge ist, wirkt der Lieferstopp aus russischer Perspektive eher wie ein Kollateralschaden. Zwar erklärte Putin, die Interessen westlicher Kunden müssten berücksichtigt werden. Ansonsten beschäftigt sich Moskau aber vor allem damit, wie es mit seinem Widersacher in Minsk fertig wird. Moskau hatte in den letzten Tagen eine eindrucksvolle Drohkulisse aufgebaut. Wie die Zeitung Wedomosti berichtete, arbeitet der Kreml an einer Reihe von Maßnahmen, um der weißrussischen Wirtschaft die Luft zu nehmen. So wurde offenbar bereits geplant, weißrussische Waren mit empfindlichen Zöllen zu belegen. Schon seit Anfang des Jahres eingeschränkt ist die Einfuhr von weißrussischem Zucker. Nun nahmen Moskaus Beamte auch Fleisch, Milchprodukte, Fernseher und Möbel aus dem Nachbarland ins Visier. Für all diese Produkte ist Russland der fast alleinige Exportmarkt.

Angesichts solcher Aussichten scheint Lukaschenko einlenken zu wollen. Ein Handelskrieg mit Moskau hätte für Weißrussland fatale Folgen. Die Wirtschaft des Landes ist noch weitgehend nach sowjetischem Muster organisiert und hielt sich bisher nur dank billiger Energie aus Russland über Wasser. Bereits das neue Preisregime für Energieträger bringt Lukaschenko in arge Nöte. Seit Anfang des Jahres muss Minsk 100 Dollar pro 1.000 Kubikmeter russisches Gas bezahlen – doppelt so viel wie bisher. Zudem hat der Kreml Ölexporte nach Weißrussland mit einem Zoll von 180 Dollar pro Tonne belegt. Dadurch entgeht dem osteuropäischen Staat ein einträgliches Geschäft. Weißrussische Raffinerien verdienten bisher bis zu 4 Milliarden Dollar jährlich, indem sie billiges russisches Öl verarbeiteten und zu Weltmarktpreisen weiterverkauften.

Die harte Hand Moskaus gegenüber dem Regime in Minsk erstaunt auf den ersten Blick. Die beiden Staaten streben seit Jahren eine Union an; zudem galt Russland lange Zeit als Lukaschenkos einziger Verbündeter. Der Autokrat hat sich mit Wahlfälschungen, der Verfolgung von Oppositionellen und der Beseitigung unabhängiger Medien in Europa zur Unperson gemacht. Nachdem Moskau den schwierigen Nachbarn jahrelang gewähren ließ, zeichnet sich jetzt ein Kurswechsel ab. Lukaschenko soll mit wirtschaftlichen Mitteln zum Einlenken gezwungen werden. Klappt das nicht, könnte Moskaus Wirtschaftsmacht auch einen Regimewechsel erzwingen. Mit einem neuen Mann in Minsk ließe sich das Projekt „Unionsstaat“ wohl einfacher umsetzen.