Wer keinen Pass hat, ist raus

„Wenn ich nach Teheran reise, um mir einen Pass zu besorgen, sperren die mich ein und töten mich“ Bis September 2007 muss eine reguläre Arbeit nachweisen, wer in Deutschland bleiben will

Aus Hildesheim HEIKE HAARHOFF

Noushin Logmanpur besorgte kistenweise Cola, ihre Tochter Sanaz setzte den Teig für die Plätzchen an. Alle Freunde wollten sie auf ihre Kosten bewirten, es sollte ein üppiges Fest werden in Hildesheim kurz vor dem Jahreswechsel. So üppig, wie ein Fest sein kann, das man ausrichten muss mit Lebensmittelgutscheinen, die pro Person und Monat 158,68 Euro wert sind, Zigaretten und Alkohol ausgeschlossen. „Aber was spielte das schon für eine Rolle in dem Moment“, sagt Noushin Logmanpur, „2007 würde doch unser Glücksjahr werden!“

Nie wieder würden die Logmanpurs die Blicke in den Geschäften ertragen müssen. Künftig, nach bald zehn Jahren des Arbeitsverbots in Deutschland, würden sie ihr eigenes Geld verdienen dürfen und ihre Einkäufe statt mit Papierschnipseln mit Euro bezahlen. Auch für ihre Miete würden sie selbst aufkommen und nicht mehr das Sozialamt. Und vor allem würden sie endlich in der Gewissheit leben, in Deutschland dauerhaft bleiben zu dürfen. Davon hatten die Logmanpurs, die 1997 aus Iran nach Hildesheim geflohen sind, geträumt. Von dem neuen Bleiberecht für sogenannte geduldete Ausländer, die sich über viele Jahre wie die Logmanpurs ohne gesicherten Aufenthaltsstatus von Duldung zu Duldung gehangelt hatten, würden auch sie profitieren. Voraussetzung für das Bleiberecht wäre ja nur ein fester Arbeitsplatz. Und den würden sie schon finden, gesund, talentiert, gut ausgebildet, fließend Deutsch sprechend und motiviert, wie sie sind. Dachten sie.

Noushin Logmanpur sitzt in einer kleinen, unbeheizten Küche. Es ist nicht ihre Küche, sie gehört dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat in Hildesheim, einer Anlaufstelle für hilfesuchende Migranten. Sie kam hierher, weil sie nicht mehr weiterweiß. Seit dem Fest sind nur wenige Tage vergangen, doch von der Euphorie ist nichts mehr übrig. „Ohne Pass läuft gar nichts“, erfuhr sie bei der Ausländerbehörde, als sie dort ihr neues Recht beantragen wollte. Ohne Pass keine Arbeitserlaubnis, ohne Arbeitserlaubnis kein Job, ohne Job keine Aufenthaltsgenehmigung. Stattdessen: Rausschmiss aus Deutschland.

Das gilt, egal wie viele mögliche Arbeitsplätze die Psychologin Noushin Logmanpur den deutschen Behörden vorweist. 48 Jahre ist sie alt, sie hat Arbeitserfahrung in Kliniken für geistig Behinderte und in Gefängnissen im Iran. Die Hildesheimer Behörden interessiert all dies wenig. Sie interessiert, sagt der städtische Pressesprecher, der Bleiberechtserlass des Niedersächsischen Innenministeriums. Und in dem heißt es unter dem Punkt „Weitere Voraussetzungen“: „Es muss ein gültiger Pass vorliegen.“

„Ich habe aber keinen Pass, und ich bekomme auch keinen“, sagt Noushin Logmanpur. Die Botschaft der Islamischen Republik Iran in Deutschland besteht darauf, dass ihre Staatsbürger persönlich vorsprechen, wollen sie einen Pass ausgestellt bekommen. „Wenn ich das mache, nehmen die mich sofort fest, bringen mich nach Teheran, sperren mich ein, töten mich“, meint sie. „Und den deutschen Behörden erzählen sie dann, ich sei freiwillig zurückgekehrt und in der Heimat bedauerlicherweise an einer Erkältung gestorben.“

Das halten die hiesigen Behörden offenbar für irrelevant, ein Pass ist nötig. Weswegen ihr, ihrem Mann und ihren Kindern im Juni 2007, wenn ihre derzeitige Duldung abläuft, doch die Abschiebung droht. Nach zehn Jahren in Deutschland, das soeben erst einen würdigen Umgang mit Menschen wie den Logmanpurs gefunden zu haben schien.

Die Logmanpurs sind kein tragischer Einzelfall. Bei den Flüchtlingsräten in Niedersachsen und anderswo mehren sich die Anrufe derer, die bereits aufgeatmet hatten, weil sie zum Kreis der neuen Aufenthaltsberechtigten zu gehören schienen. Jetzt stoßen sie auf Hindernisse. Mal sind es die Papiere, die entweder nicht beantragt werden können oder deren Ausstellung von den entsprechenden Staaten schlicht verweigert wird – in Afrika, Nahost oder auf dem Balkan. Mal dauern die Prüfungen der deutschen Behörden auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis für einen konkreten Job so lange, dass die erhoffte Stelle bereits anderweitig vergeben ist, wenn der behördliche Bescheid erfolgt.

Welche Rolle spielt da das Schicksal von Noushin Logmanpur? Im Sommer 1997, da arbeitet sie als Wärterin in einem Frauengefängnis in ihrer Geburtsstadt Mashhad, hält sie die Grausamkeit des Gefängnisalltags nicht mehr aus. Auspeitschungen, Verstümmelungen, Hinrichtungen. Sie erkennt, dass sie machtlos ist mit ihren Bemühungen, das System von innen zu bekämpfen. Todesmutig entführt sie ein 17-jähriges Mädchen, das gesteinigt werden soll, in die Freiheit. Sie wird selbst zur Gesuchten, taucht unter, riskiert die Flucht mit ihren beiden Kindern nach Deutschland. Ihrem Mann, einem in Iran lebenden Afghanen, gelingt es, der Familie ein halbes Jahr später nach Hildesheim zu folgen. Einen Grund für politisches Asyl mag hier niemand erkennen.

Noushin Logmanpur rattert ihre Geschichte mit einer Teilnahmslosigkeit herunter, als sei sie Sachbearbeiterin und nicht Betroffene. Sie hat schon so oft um ihr Leben gefürchtet, dass das eine Mal mehr, so scheint es, sie nicht aus der Ruhe bringen kann. „Das Einzige, was mir zu schaffen macht“, sagt sie, „ist die Aussicht, dass auch mein Mann und meine Kinder wahrscheinlich kein Bleiberecht erhalten werden – und das, obwohl sie sich leicht Pässe besorgen können, sie sind ja Afghanen.“ Doch unter Punkt 5.2 der niedersächsischen Bleiberechtsregelung heißt es: „Bei Ausschluss eines Familienmitglieds erfolgt grundsätzlich auch der Ausschluss der Ehegatten und der minderjährigen Kinder.“ Im Klartext: Weil Noushin Logmanpur keinen Pass hat und ihr deshalb die Arbeitserlaubnis und der dauerhafte Aufenthalt vermutlich verwehrt werden, sollen diese auch ihrer Familie, die die Anforderungen des Bleiberechts erfüllt, vorenthalten bleiben.

Dass die Behörden es ernst meinen, hat ihr Mann neulich erfahren: Er hatte einen Job in einem griechischen Spezialitätengeschäft in Aussicht. Nach Jahren der erzwungenen beruflichen Untätigkeit kam dieses Angebot der berühmten Nadel im Heuhaufen gleich. Der Arbeitgeber, begeistert von dem Geschick seines Bewerbers, Oliven zu präparieren und Vorspeisen herzustellen, bekundete seine Einstellungsabsicht sogar schriftlich. Die Behörde lehnte den Arbeitsantrag ab. Begründung: Es gebe einen anderen, einen deutschen Bewerber. Einen mit „Erstzugriffsrecht“ auf den Job. „Im Übrigen“, sagt der städtische Pressesprecher, „sind die Logmanpurs ja ausreisepflichtig.“

Was die Arbeitssuche für Geduldete zudem schwierig macht: Aufenthaltssichernde Beschäftigungen sind nach Behördenlogik nur solche, die so viel Geld abwerfen, dass davon sämtliche Familienangehörige ernährt werden können – ohne zusätzliche Sozialleistungen. „Je nach Familiengröße kommen da schnell zwischen 1.400 und 2.000 Euro netto zusammen“, sagt Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Das ist ein sehr hohes Einkommen für Menschen, die ungelernt sind oder denen jahrelange Berufspraxis fehlt.“ Als Geduldete haben sie zudem weder einen Anspruch auf Vermittlung durch Arbeitsagenturen noch auf Deutschkurse, ABM oder Integrationskurse.

Avni Sejdijaj macht sich deswegen große Sorgen. Im Februar wird der Realschüler 19. Seit zwölf Jahren leben er, sein kleiner Bruder und die Eltern als Geduldete in Hildesheim. An seinen Geburtsort, irgendwo im Kosovo, erinnert er sich nicht. Immer wieder sollten die Sejdijajs abgeschoben werden. Der Vater ist darüber psychisch krank geworden. Jetzt, mit dem neuen Bleiberecht, könnte die Familie neue Hoffnung schöpfen, endlich Planungssicherheit für ihr Leben zu bekommen – lägen die Hürden dafür nicht so hoch.

„Meine Mutter“, sagt Avni Sejdijaj, „ist 43 Jahre alt. Sie ist die Einzige, die unsere Familie eventuell ernähren könnte, sie hat schon mal als Verkäuferin gearbeitet.“ Aber: „Sie spricht nicht so gut Deutsch.“ Wer also, überlegt er, wird sie mit diesem Handikap einstellen, wenn tausende Geduldete plötzlich um die wenigen Jobs konkurrieren? Bis Ende September 2007 muss eine sozialversicherungspflichtige Arbeit nachweisen, wer in Deutschland bleiben will. Der Wettlauf mit der Zeit hat begonnen.

Avni Sejdijaj könnte zumindest für sich selbst sorgen, für das Frühjahr hat er eine Lehrstelle als Gärtner in Aussicht. Seine Traumausbildung freilich war eine andere: Kfz-Mechatroniker. Doch die Schule, die dazu ausbildet, verlangt von Ausländern vor der Aufnahme eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Die Ausländerbehörde stellt diese aber erst aus, nachdem ein entsprechender Ausbildungsvertrag unterzeichnet wurde. Behördenschizophrenie.

Wer in dieser Gemengelage bestehen will, braucht Ausdauer, Kontakte, eine gehörige Portion Glück – oder einen Arbeitgeber wie Matthias Köhler. Der Großvermieter besitzt in Hildesheim verschiedene Mietshäuser und Wohnheime und suchte vor fünf Jahren einen Hausmeister. Jupo Beqiroviq, damals 48 Jahre alt und Mieter in einer von Köhlers Wohnungen, war ihm aufgefallen: freundlich, zuvorkommend, zuverlässig und stets daheim: Vor 15 Jahren waren die Beqiroviqs aus dem Kosovo nach Hildesheim geflüchtet, drei der vier Kinder sind in Deutschland geboren. „Ich dachte“, erinnert sich Matthias Köhler, „das geht doch nicht, dass das Sozialamt die Miete zahlt und so ein tüchtiger Mann zum Nichtstun verdammt ist.“

Er machte Jupo Beqiroviq ein Arbeitsangebot, und mit Mühen setzten sie es um. Köhler beschrieb die Stelle anfangs, wie er sagt, gegenüber den Behörden „bewusst schlecht“. Der Grund: Andere – deutsche – Interessenten, die ihm das Arbeitsamt als sogenannte bevorrechtigte Bewerber zur Vorstellung schickte, sollten die Stelle ablehnen. Schließlich durfte Köhler seinen Wunschkandidaten einstellen. Die Stadt Hildesheim muss seit 2001 für keinen der Beqiroviqs mehr Unterhalt zahlen. Aber alle drei oder sechs Monate, je nachdem, wie lange die jeweilige Duldung gerade währt, muss auch die Arbeitserlaubnis erneuert werden.

„Kein normaler Arbeitgeber lässt sich auf so etwas ein“, glaubt Jupo Beqiroviq. Mit dem neuen Bleiberecht werden sich die vielen Behördengänge für ihn verringern. Die generelle Abhängigkeit von seinem Arbeitgeber aber wird bleiben. „Sollte ich die Stelle einmal verlieren“, dessen ist er sich bewusst, „wird die Frage, wo wir leben dürfen, neu verhandelt.“