„Ich habe keine Ambitionen, Karriere zu machen“

COMEDY Kasper und Katastrophen: René Marik über das BWLer-Denken, Spontaneität und den Spaß mit Studenten. Zwei Tage gastiert er im Admiralspalast

■ René Marik, Jahrgang 1970, ist Deutschlands populärster Puppenspieler.

■ Während des Mathematikstudiums Anfang der 90ziger in Berlin fand Marik Anschluss an die Hausbesetzerszene in Friedrichshain und lebte 7 Jahre in einer dreißigköpfigen WG. Er wechselte an die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und ging nach dem Abschluss im Studiengang Puppenspiel ans Theaterhaus Jena. 2007 wurden Mariks Figuren – insbesondere ein sprachbehinderter Maulwurf und der berlinernde Eisbär Kalle – schlagartig über das Videoportal Youtube bekannt.

■ Zurzeit tourt er mit dem Programm „Kasperpop“ durch Deutschland. Am 5. und 6. Februar im Admiralspalast Berlin

INTERVIEW JAN SCHEPER

taz: Herr Marik, Sie haben in Siegen und Berlin Mathematik studiert, wurden schließlich Diplom-Puppenspieler und Hausbesetzer. Wie wird aus einem Mathematiker ein Anarchist?

René Marik: Ich glaube, das ist voneinander gar nicht so weit weg. Oder es sind genau die zwei Seiten der Medaille. An der Mathematik hat mich das absolut Klare, Eindeutige gereizt. Ein klares Glas Wasser – es gibt kein Vielleicht oder „Könnte sein“. Was hat das mit Anarchie zu tun? Ich weiß es nicht.

Folgt Chaos nicht auch einer gewissen Ordnung?

Natürlich, allerdings heißt Anarchie für mich nicht, dass alle machen können, was sie wollen. Sondern ich stelle es mir als herrschaftsloses Modell vor, in dem keiner dem anderen sagt, was er zu tun hat. Es gibt den schönen Spruch: Wer mit 20 kein Linker ist, hat kein Herz, und wer mit 40 noch einer ist, ist bescheuert. Ich glaube, dass das eine Ausrede für alte etablierte Männer ist, die ihre Seele verkauft haben. Ein gutes Miteinander erscheint mir immer möglich, beispielsweise wenn ich an die Arbeit mit meinem Team denke. Ich kann aber, genauso wenig wie jemand anderes, ein ideales Modell aufmalen.

In Ihrem neuen Programm „Kasperpop“ diskutieren zwei Putzlappen über Antisemitismus und unterhalten sich auf dem World Trade Center, bevor das erste Flugzeug reinkracht. Ist das situative Komik, absichtlich eingebettet in einen politischen Kontext?

Das war schon immer mein Problem. Ich kann keine politische Intention auf der Bühne verfolgen, um die Leute zu bekehren, dann verliere ich meine Kreativität, dann wird es blutleer und konstruiert. Die Puppennummern sind frei assoziiert, oder sie schießen mir in den Kopf. Es geht um das Spontane, das, was man nicht erwartet. Das ist ein Stück weit ein Fluch, denn ich kann mich nicht einfach hinsetzen und eine Szene schreiben.

Wichtig für „Kasperpop“ sind die Themen Pop und Katastrophe. Wie kommen Sie denn auf Ihre Ideen?

Mir passieren die Dinge, und dann werde ich kreativ. Der Abend hat keine Stringenz. Es geht mir mehr um lose Anhaltspunkte. Wobei mich das Phänomen Pop schon immer interessiert hat. Ich hatte zuhause eine Kasperpuppe aus dem Osten, bei der die rote Zipfelmütze abging, und es blieben nur starre große Augen und eine Glatze übrig. Ich dachte: Geil – ein Bösewicht, der hat ja vorher gefehlt. Der Hasskasper ist die Figur, zu der das Katastrophenhafte gut passt.

Sie arbeiten oft mit Provisorien auf der Bühne. Ihr Charakter, der Maulwurf, taucht beispielsweise an einer Stelle mit einer Kalaschinkow AK47 aus Pappe auf.

Ich weiß noch, dass viele Nummern kurz vor dem Auftritt entstanden sind. Ich habe mir dann schnell noch was aus Pappe ausgeschnitten. Das musste genügen. Es geht nicht um die perfekte Inszenierung. Ich habe überhaupt keine Lust, den Leuten irgendwas hinzuklatschen, was fertig ist. Für mich ist die Faszination am Puppenspiel, dass der Zuschauer sich im Kopf vieles dazuerfinden muss, um erkennen oder verstehen zu können. Es gibt allerdings auch den Hyperrealismus, eine Strömung, die genau das andere versucht, mit ganz filigranen Puppen. Da steuern etwa fünf vermummte Puppenspieler mit einem Riesenaufwand eine Katze, die so wirkt, als sei sie echt. Genau das ist aber das Problem, dann kann man gleich eine echte Katze auf die Bühne stellen. Für mich bestand der Reiz immer darin, dass das Publikum in der Pflicht ist.

Also mit Marionetten zu arbeiten wäre nichts für Sie?

Um Gottes willen, ich hasse die.

Neben dem Tourbetrieb arbeiten Sie in Berlin immer wieder als Gastdozent für Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Warum?

Ich glaube, das ist das, was ich am besten kann. Ich habe mittlerweile 7 Szenenstudien gemacht, das heißt, man nimmt sich einen Stoff aus der dramatischen Literatur und probt. Am Ende steht dann ein Vorspiel der Studenten. Das war immer großartig. Man nimmt sich selber sehr zurück in dieser Arbeit. Ich halte keinen Vortrag über mein Schaffen, sondern leite eher vorsichtig an. Die Abwechslung ist mir wichtig. Nach dem aktuellen Programm stehen noch ein Band- und ein Filmprojekt an.

Die Rolle als Musiker ist ja auch in Ihren Programmen wichtig. Es sind die einzigen Momente, in denen das Publikum Sie wirklich sieht.

Ich mache länger Musik, als ich mit Puppen spiele. Es kommt dann immer wieder Kritik von Leuten, die nur meine Figuren kennen und dann denken, jetzt kommt der auch noch mit der Gitarre raus. Darauf kann ich aber keine Rücksicht nehmen. Wenn ich anfange mir vorzustellen, was denn die Leute eigentlich sehen wollen, kann ich keinen guten Abend mehr machen. Ich habe ja keine Ambitionen, eine Schlagerkarriere zu machen. Ich habe überhaupt keine Ambitionen, irgendeine Karriere zu machen. Das Grundschema der Gesellschaft ist das BWLer-Denken. Angebot und Nachfrage regeln alles. Ein Produkt ist dann erfolgreich, wenn man sich in den Konsumenten hineinversetzt und dessen Bedürfnisse befriedigt. Es wird einem suggeriert, dass es überall so ist. Das ist totaler Quatsch. Daraus entsteht kein kreativer Gedanke, sondern nur Reproduktion von etwas, was ohnehin schon da ist. Wirkliche Innovation ist frei von Zielorientierung.