Zuckerl für Aug‘ und Ohr und Herz

Bollywoodfilme haben längst die Programm- und Kommunalkinos verlassen. Sie sind Mainstream geworden, auf RTL 2 fahren sie Traumquoten ein. Das Bollywood-Musical konnte da nicht lange auf sich warten lassen, und siehe: „Bollywood – the Show“ tourt derzeit durch den Norden

von JENS FISCHER

Lieblingsfarbe: bunt. Genauer: quietschebunt. Vor allem die Grundfarben müssen geheimnisvoll glühen. Und damit wirklich kein Fitzelchen Papier, Leinwand, Bühne ungetüncht bleibt, noch ein paar fette Schraffuren in Rot und Blau obendrauf. Ach was: Purpurrot! Indigoblau! Und natürlich Glitzer. Und goldig muss es schimmern. Und edelsteinig glänzen. Und die Figuren, gewandet in fließend flirrende seidige Pracht, sollen mit nur wenigen Strichen skizziert werden, damit sie für möglichst viele angenehme Projektionen taugen.

So wie Mädchen ihre Prinzessinnenwelt mit Barbies spielen, inszenieren Bollywood-Regisseure ihre indischen Traumreiche: große Fluchten, Sehnsuchtsorte alter Schule. Ebenso kommt jetzt „Bollywood – The Show“ daher, das Musical zum Kinophänomen, das seine Norddeutschland-Tournee derzeit in Bremen beginnt. Auch hier herrscht die Ästhetik der Überwältigung: Alles wird mobilisiert, denn es gilt: Mehr ist mehr.

Wie in den brasilianischen Telenovelas blendet auch Bollywood die Wirklichkeit zu Gunsten des schönen Scheins aus, lässt das Publikum in ein Leben der Nouveau Riches entschweben, aus dem die langweiligen Momente herausgeschnitten sind. Stereotyp und streng konservativ werden die Werte der Familie, das Wort des Vaters und die alles überwindende Macht der Liebe gefeiert – und bis zum glücklichen Ende durchbuchstabiert. Immer dann aber, wenn ein Kuss oder eine gierige Berührung folgen müssten, fangen alle an zu singen, zu tanzen und in nassen Saris oder Hemdchen auf ihre körperlichen Vorzüge zu verweisen. Um nicht mehr, um nicht weniger geht es in den Bollywood-Schmonzetten. Dafür ist ihnen kein Stil und keine Kultur heilig, alles wird eingeschmolzen und als Zuckerl für Aug‘ und Ohr und Herz verkauft.

Solch unschuldig heile Welt kennen wir in Deutschland aus der Nachkriegszeit, vom Heimatfilm der 50er Jahre. Als ironische Volte darf verstanden werden, dass Bollywood opulente Naturszenen in den Alpen drehen lässt, was allerdings auch der politisch unsicheren Lage an den ursprünglichen Drehorten in Kaschmir geschuldet ist. Überhaupt hat sich Bollywood für den Erfolg etwas aufgehübscht, die so bombastische wie kindliche Stummfilm-Oper-Naivität auf schick getrimmt und discokompatibler umtönt. Die Dialoge erhielten englische Untertitel, die dramatischen, tempo- und abwechslungsreichen Handlungs-Loopings kopieren ungeniert das westlichen Genrekino. Während das indische Publikum dabei weiterhin weinend mitschmachtet, nehmen hiesige Anhänger die Filme nicht so ernst und rezipieren sie eher als Comedy.

Ursprünglich bezeichnete Bollywood, als Verballhornung von Hollywood, die Filmproduktion Bombays – also Mumbais, wie sich die Metropole seit 1995 offiziell nennt. Heute ist die gesamte indische Filmindustrie gemeint, die beispielsweise auch in Neu Delhi, Chennai und Hyderabad beheimatet ist und etwa 800 Emotions-Epen jährlich produziert, drei Mal so viele wie Hollywood. 15 Millionen Tickets werden täglich verkauft – und kosten abseits der Multiplexe 30 bis 50 Rupien, das sind nicht mal 50 Cent. In Europa haben die überlangen Werke die Kultszene der Programm- und Kommunalkinos längst verlassen, in Deutschland fahren sie auf RTL 2 Traumquoten ein.

Da konnte das Bollywood-Musical nicht lange auf sich warten lassen. „Bharati – Auf der Suche nach dem Licht“, eine Tournee-Produktion, die demnächst auch in Hannover und Hamburg zu sehen ist, funktioniert als entzückende Touristen-Akquise, als geschmackvolle Einführung in indische Tanz- und eine ironische Einführung in indische Kinokultur. Mit „Bollywood – The Show“ dagegen setzt der britische Regisseur Toby Gough vor allem auf „The Show“ – und dabei auf Vaibhavi Merchant, eine der gefragtesten und prämiertesten Choreografinnen Bollywoods. Sie hat ein Best-Of ihrer Filmchoreografien für die Bühne bearbeitet und noch etwas mehr dem westlichen Lebensstil angepasst. Was in der Aufführung charmant in etwa so erklärt wird, dass sich eine hinduistische Tempeltänzerin in John Travolta verliebt und ihre Bewegungskunst fürs lichtdurchzuckte und narzisstische Discoleben profanisiert haben muss. Im klassischen indischen Tanz bedeutet jede winzige Veränderung der Finger- und Handstellung eine ganze Erzählung, bringt ein Gefühl, ein Symbol, einen Wunsch zum Ausdruck. Dieses hochdifferenzierte, strenge Zeichensystem, das Rasanz und Grazilität gleichzeitig von den Tänzern verlangt, geht bei der Pop-Bluttransfusion verloren. Zur Musik mit ihren hämmernden Beats, die von den Filmhit-Lieferanten Salim und Sulaiman stammt, konzentriert sich das rhythmische Tanzkollektiv auf züchtige Sexyness, springt, dreht, verbiegt sich, destilliert einen kraftvoll virtuosen, enorm präzisen und rasend schnellen Showtanz – versetzt mit Jazzdance, Hip-Hop, Breakdance. Hochleistungssport, in dem die Kräfte westlicher Anziehung und östlicher Verwurzelung ein Gefühl purer Lebensgier vermitteln. Das immerhin ist aus dem Bewegungs-Clash der Parallelgesellschaften herauszulesen. Kein Ausverkauf an den Westen also, sondern eine Globalisierung Bollywoods, die uns das Fremde als etwas bestenfalls Exotisches vorführt.

Was aber gegenüber den Filmen fehlt, ist zweierlei: der Star, auf den man auf der Bühne durchaus verzichten kann, und der visuelle Einfallsreichtum. Im Kino umschwirren die Kameras die Tänzer aus allen Himmelsrichtungen, sinken ihnen zu Füßen, rasen durch die Chorus Line, so dass das Ausklinken aus der Realität zu einem Rausch aus Bildern, Bewegung und quietschebunten Farben montiert werden kann.

Regisseur Toby Gough, der mit „Lady Salsa“ und „Buena Vista“ schon zwei Moden musicalisiert hat, legt mit „Bollywood – The Show“ eine eher hausbackene Übersetzung des Filmmediums Bollywood vor – was nicht zuletzt auch am Vollplayback der Musikszenen liegt. Die läppischen Handlungsfragmente können da auch nichts mehr retten.

„Bollywood – The Show“: bis 14. 1. Bremen, Musical Theater, 11. 2. Kiel, Ostseehalle, 16. / 17. 2. Hamburg, Color-Line-Arena, 18. 2. Hannover, AWD-Hall, 20. 2. Braunschweig, Stadthalle„Bharati“: 16. 1. Hannover, TUI-Arena, 17. / 18. 1. Hamburg, Color-Line-Arena