Hungerstreik gegen Hartz IV

Weil das Jobcenter in Osterode Rüdiger S. nur die Hälfte seiner Heizkosten zahlt, ist der 54-jährige ALG-II-Empfänger in den Hungerstreik getreten. Die Leistungen seien angemessen, sagt der Kreisrat

VON REIMAR PAUL

Rüdiger S. geht es noch einigermaßen gut. „Ich fühle mich normal“, sagt er am Telefon. Zwar habe er 15 Kilogramm Gewicht verloren, „aber sonst habe ich bislang noch keine größeren gesundheitlichen Probleme“. Seit sechs Wochen ist der 54-jährige Arbeitslosengeld-II-Empfänger aus Wieda im Südharz im Hungerstreik. Gegen Hartz IV. Und gegen den Landkreis Osterode, der die Heizkosten für seine Wohnung nicht in vollem Umfang übernehmen will.

Bei der Wohnung handelt es sich um ein sanierungsbedürftiges und schlecht isoliertes Fachwerkhaus mit rund hundert Quadratmetern Wohnfläche. Das Haus gehört S., er bewohnt es allein. Rund 150 Euro im Monat würde es kosten, alle Räume einigermaßen warm zu bekommen, sagt er. Das Jobcenter im Kreis Osterode zahlt nur knapp die Hälfte davon, 77 Euro. „Damit krieg’ ich gerade mal mein Bad warm“, sagt S. In dem fünf Quadratmeter kleinen Raum hält sich der Arbeitslose nach eigenen Angaben denn auch meistens auf.

77 Euro seien angemessen, sagt hingegen der Osteroder Kreisrat Gero Geißlreiter. ALG-II-Empfänger haben in der Regel Anspruch auf einen Zuschuss zu den Heizkosten. Der wird allerdings pauschal festgelegt und richtet sich nicht nach dem Bedarf. Rüdiger S. und das ihn unterstützende Erwerbslosen-Forum Deutschland verweisen aber auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes. Danach müssen die Leistungsträger bei selbst bewohntem Eigentum die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernehmen. Gesetzlich geregelt ist die Frage nicht.

Rüdiger S. ist bereits seit 1998 arbeitslos. Davor, erzählt er, hat er als „Kalfaktor“ in verschiedenen Asylbewerberheimen in Niedersachsen gearbeitet. Nachdem er seinen bislang letzten Job verlor, bekam er zunächst Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe. Seit Anfang 2005 gibt es ALG II – 345 Euro und eben den in der Höhe strittigen Zuschuss für Heizkosten.

Ende des vergangenen Jahres bot der Kreis Osterode S. einen Ein-Euro-Job an, als Webdesigner bei der Samtgemeinde Walkenried. Das hätte S. schon gerne gemacht. Allerdings als reguläre, sozialversicherungspflichtige Tätigkeit, „aber nicht als Lohndrücker“. Wenn er nicht die vollen Heizkosten für sein Haus bekomme, wolle er sich erst recht nicht für einen Euro pro Stunde verdingen. S. lehnte das Angebot also ab.

Das Osteroder Jobcenter zog die Schrauben an. Es drohte, den Regelsatz für Rüdiger S. um 30 Prozent zu kürzen. Der trat daraufhin in den Hungerstreik und kündigte zudem an, ab Weihnachten auch nichts mehr zu trinken. „Dann wäre er nach wenigen Tagen in eine lebensbedrohliche Lage gekommen“, räumte der Landkreis später ein.

Auf Initiative des Erwerbslosen-Forums schaltete sich der Berliner Politikprofessor Peter Grottian als Vermittler in den eskalierenden Konflikt ein. Er erreichte auch eine Absprache zwischen den Beteiligten: kein Durststreik – dafür setzt das Jobcenter die angedrohte Sanktion aus und prüft den Heizkostenbescheid. Außerdem will sich die Behörde noch mal richtig ins Zeug legen, um S. einen regulären Job zu vermitteln.

Doch passiert ist seitdem gar nichts, klagt S. gegenüber der taz. Immerhin gebe es in der nächsten Woche einen neuen Gesprächstermin mit der Behörde. Den Hungerstreik will Rüdiger S. weiterführen. Es gehe ihm dabei nicht nur um seine eigene Lage, sagt er. Sondern um den „gesellschaftlichen Skandal, dass ein Mensch nicht von 345 Euro leben kann“.

Der stellvertretenden Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping, die mit dem Hungerstreikenden gesprochen hat, sagte S.: „Notfalls werde ich für meine Überzeugung sterben.“