: Analytisches Zeichnen
AUSSTELLUNG Eine Schau im Bauhaus-Archiv widmet sich der Lehrtätigkeit des russischen Malers Wassily Kandinsky am Bauhaus (1922 bis 1933). Zu sehen sind Unterrichtsmaterialien und Arbeiten seiner Schüler
VON RONALD BERG
Wassily Kandinsky (1866–1944) gilt als einer der „Erfinder“ der Abstraktion in der Malerei. Gefestigt wurde die Bedeutung des russischen Künstlers auch durch seine Kunsttheorie. Die Schrift „Das Geistige in der Kunst“ (zuerst 1912) wurde ein Bestseller – vor allem deshalb, weil Kunst und Künstler hier gleichsam zu Kündern metaphysischer Wahrheiten erklärt werden. Es nimmt daher nicht wunder, dass Kandinskys Sendungsbewusstsein ihn als Lehrer geradezu prädestinierte.
1922 berief ihn Walter Gropius ans Bauhaus nach Weimar. Kandinsky unterrichtete auch nach dem Umzug der Schule nach Dessau 1925 bis zu ihrer Schließung 1933 in Berlin. Kein anderer Meister weilte länger am Bauhaus. Das Bauhaus-Archiv konzentriert sich in seiner Kandinsky-Ausstellung nun ganz auf die Rolle des Künstlers als Lehrer während der Bauhaus-Zeit. Von Kandinsky selbst gibt es nur ein paar grafische Blätter. Dafür offeriert man viele Schüler-Arbeiten und Mitschriften aus Kandinskys Lehrveranstaltungen sowie eine Reihe von Materialien, vor allem Typoskripte, mit denen Kandinsky seinen Unterricht vorbereitete.
Obligatorischer Vorkurs
Sogar Kandinskys Notizbuch lässt sich als Reliquie bestaunen. Die Schau, kuratiert durch die Kunsthistorikerin Angelika Weißbach, basiert auf einem Forschungsprojekt der Société Kandinsky (Paris). Kandinsky unterrichtete im obligatorischen Vorkurs des Bauhauses, leitete zeitweilig die Werkstatt für Wandmalerei und führte ab 1927 eine freie Malklasse, in der allerdings nur über mitgebrachte Arbeiten diskutiert wurde. In seinem Grundlagenunterricht ging Kandinsky didaktisch vor. Für Anfänger wurden Formen und Farben als Mittel des künstlerischen Ausdrucks zunächst getrennt behandelt, dann deren Beziehung erkundet. Kandinsky hatte die Vorstellung, dass die Wirkung bestimmter Farben mit bestimmten Formen korrespondiere. Dazu entwickelte er sogar einen Fragebogen, in dem Studenten die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau den drei Grundformen Kreis, Dreieck und Quadrat zuzuordnen hatten. Die jeweilige Wahl musste auf Fragebögen, die jetzt in der Ausstellung zu sehen sind, begründet werden. Das Ergebnis war durchaus nicht eindeutig. Kandinskys in den Farben und Formen hausende, geistige Werte blieben vielen Studenten offenbar schleierhaft.
In Kandinskys Kompositionslehre, dem „analytischen Zeichnen“, war die Abstraktion sowohl Mittel wie Ziel des Unterrichts. Abstraktion wiederum, also das Absehen von der natürlichen Erscheinung der Dinge, sollte in geistige Sphären führen, die jenseits des dinglichen Scheins verborgen lägen. Die geistigen Werte beanspruchten Allgemeingültigkeit. Kandinsky war von der Richtigkeit seiner Annahmen natürlich überzeugt und suggerierte da Wissenschaftlichkeit, wo es sich nur um eigene Vorstellungen handelte.
Interessant für seinen späteren Unterricht am Bauhaus ist der Umgang mit Bildern. Die Ausstellung bringt dazu eine freie Rekonstruktion einer Bildsammlung mit Fotos von Gemälden der Kunstgeschichte, Architekturen, aber auch technischen Gerätschaften wie Flugzeugen oder Motoren. Ein historisches Foto überliefert, wie Kandinsky die Bilder seinerzeit an der Tafel des Unterrichtsraums plazierte. Seine Bildsammlung mutet an wie Aby Warburgs berühmter, ungefähr zeitgleich entstandener Bildatlas, worin Beziehungen zwischen Bildformen sichtbar werden sollten. Auch in solchen Bildkorrespondenzen spielt der geistige Gehalt als Vergleichsmoment natürlich seine Rolle. Besonders die linken Studenten äußerten auch Kritik an Kandinskys Lehre, die ihnen zu geistig und zu wenig materialistisch ausfiel. Und das war zumindest richtig beobachtet.
■ Bis 8. September, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, täglich außer Di. Katalog 29 Euro
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