Gipfeltreffen wird zum Villa-Killer

In Heiligendamm muss ein 153 Jahre altes Badehaus weichen, damit eine Pressetribüne für die G-8-Tagung entstehen kann. Dem Investor, der beinahe den kompletten Ort aufgekauft hat, kommt der Polit-Trubel für seine Abrisspläne wohl gelegen

VON DANIEL SCHULZ

Die alte Villa sieht aus wie ein Zahn mit Karies. Immer weiter bohren die beiden gelben Bagger ihre Schaufeln in das Innere des Hauses. Weil es in Heiligendamm regnet, staubt es nicht allzu sehr. Dadurch kann man in das Loch im Haus hineinsehen. Die alten Holzdecken hängen in Teilen herunter oder liegen zerstückelt auf dem Boden.

In Deutschlands ältestem Seebad Heiligendamm wird abgerissen. Einst residierte in der 1854 erbauten „Villa Perle“ der russische Zar beim Badeurlaub, doch nun soll hier eine Pressetribüne hin. Für die zwei Tage des G-8-Gipfels im Juni dieses Jahres, denn den haben Bund und Land nach Heiligendamm geholt. Auf den Überresten des klassizistischen Bungalows kann man vielleicht bald Auto fahren. Der Schutt werde zu Splitt verarbeitet, sagt der Abrissunternehmer. Splitt lässt sich hervorragend für den Straßenbau verwenden. Oder zum Streuen im Winter.

„Einen derart unsensiblen Umgang mit Historie gibt es wohl selten“, sagt Hannes Meyer von der Bürgerinitiative Heiligendamm. Der Architekt mit Büro in der nahen Stadt Bad Doberan, zu der Heiligendamm gehört, sieht „das städtebauliche Ensemble des Ortes gesprengt“. Seine Initiative kämpft bereits seit vier Jahren gegen die Baupläne der Fundus-Gruppe, hinter der der Investor Anno August Jagdfeld steht. Die Gruppe mit Hauptsitz im nordrhein-westfälischen Düren hat den historischen Teil des Seebads nach der Wende fast komplett aufgekauft. Seither gibt es Zwist, der Abriss ist nur ein weiterer Höhepunkt. Unter anderem wurde um das 2003 eröffnete Kempinski Grand Hotel herum die Hälfte des Ortes gesperrt. Die wohlhabenden Gäste störten sich an schaulustigen Mecklenburgern.

Zwischen die historischen Villen möchte Fundus gern noch ein zweites Hotel bauen. Da passt der Abriss der „Villa Perle“ gut in die Pläne. Sie soll als moderne Ferienwohnung wieder aufgebaut werden – „natürlich originalgetreu“, sagt Fundus-Sprecher Johannes Beermann. Man habe die Villa ohnehin abreißen müssen, „in der DDR wurde das Haus kaputtsaniert“. Für Architekt Meyer ist das Unsinn: „Man hätte das Haus erhalten können, aber das war wohl zu teuer.“

Doch die Ansicht der Fundus-Gruppe wird von der örtlichen Denkmalbehörde gestützt. Auch die gab grünes Licht für einen Abriss – ein Erhalt mache keinen Sinn mehr. Im September 2002 sahen das die Offiziellen noch anders. Damals wurde in einem Grundlagenvertrag zwischen der Stadt und den Investoren festgehalten, „die Sanierung der nicht zum Grand Hotel gehörenden Gebäude zeitnah nach Fertigstellung des Grand-Hotels zu beginnen“. Geldgeber Jagdfeld nannte sogar einen Termin, bis zu dem Häuser wie die Villa Perle wieder in neuem Glanz erstrahlen sollten: „Er strebt den Abschluss der Sanierung dieser Gebäude bis zum 31. 12. 2005 an.“ Stattdessen kamen nun die Bagger.

Die Villa Perle wird nicht das letzte Opfer sein. Für zwei weitere Häuser hat Fundus ebenfalls eine Abrissgenehmigung. Wann die Villa-Killer hier wieder anrücken, ist laut Beermann noch nicht klar.

Die Bürgerinitiative wird weiter dagegen kämpfen, doch derzeit steht sie allein auf weiter Flur. Der Bürgermeister von Bad Doberan, Hartmut Polzin (SPD), will die Abrissgegner am liebsten gar nicht wahrnehmen. „Bei uns hier gibt es wegen Fundus keine Unruhe“, sagt er. „Ein paar Klagen gibt es immer.“ Die wurden von höheren Mächten gestern kurz erhört – gegen Mittag hatte einer der Bagger plötzlich eine Panne. Inzwischen jedoch wird weiter abgerissen, in drei Wochen soll von der „Villa Perle“ nichts mehr übrig sein.