Ein ganzer Allgäuer Berg auf Talfahrt

Das „Immenstädter Horn“ leidet unter dem warmen Winter. Autogroße Felsbrocken donnern bei Bergrutsch ins Tal

MEMMINGEN taz ■ Am Freitag war es wieder einmal so weit: Die jüngsten Regenfälle lösten am 1.490 Meter hohen Immenstädter Horn eine neue Schlammlawine aus. Der Berg hat den Halt verloren, was nach Einschätzung des Chefs des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), Albert Göttle, am extrem warmen Winter liegt. „Normalerweise müsste jetzt der Boden gefroren sein, und es müsste wenig Niederschlag geben, und wenn, dann höchstens als Schnee.“

Noch weitaus schlimmer war der Erdrutsch vor einer Woche. Da donnerten Pkw-große Felsbrocken ins Tal. Begonnen hat der große Bergrutsch aber schon vor gut einem Jahr. – als Folge des niederschlagsreichen Sommers 2005. Der Berg, so Experten, wurde unterspült. Achtmal hat es inzwischen Murenabgänge gegeben, einmal wurde sogar der Friedhof von Schlammmassen überschwemmt.

Seit dem großen Fels- und Erdrutsch ist Ursachenforschung angesagt, ständig sind Geologen und Wasserwirtschaftsexperten am Berg. Eineinhalb Millionen Euro wurden in Ableitungsbauwerke investiert, die bei neuerlichen Rutschungen die Schlamm- und Geröllmassen gezielt in einen Gebirgsbach ableiten sollen. Für Extremsituationen wurden Pläne zur Evakuierung der Talbevölkerung entwickelt, erklärt Bürgermeister Gerd Bischoff. Das Stadtoberhaupt weist darauf hin, dass der Berg schon lange als Problem gilt: „Bereits am 23. Januar 1348 ist die Hälfte des Immenstädter Horns durch einen gewaltigen Bergsturz abgefahren.“

LfU-Präsident Göttle spricht von einer Häufung der Wetterextreme und ihren Folgen. Das Wort „Klimawandel“ nimmt er nicht in den Mund. Ganz anders die Menschen, die unten am Steigbach stehen und die braunen Wasser-Schlamm-Massen in Bewegung sehen. „Zuerst haben wir die Bäume gehört, als die wegknickten, dann kamen die Felsen“, berichtet eine Anwohnerin. Ein Mann in rotem Anorak findet: „Wenn das so weitergeht mit dem Klima, dann wird das auch anderswo immer häufiger passieren.“ Eine junge Mutter sagt, sie habe sich entschlossen wegzuziehen. „Weil eben keiner weiß, was genau passiert.“

Die Zufahrt ins benachbarte Steigbachtal ist gesperrt. „Lebensgefahr!“-Schilder warnen vor dem Betreten und Passieren. Die Familien im Gebirgstal müssen eine knappe Stunde über einen Notabstieg zu Fuß ins Tal, wenn sie Lebensmittel brauchen. Am Montag, erklärt Bauamtsleiter Adi Martin gestern, werde man sehen, ob man vorübergehend den Weg ins Steigbachtal freigeben kann. Klar schien gestern lediglich: Die aktuelle Sperrung wird nicht die letzte gewesen sein. KLAUS WITTMANN