Mit fröhlicher Gewaltsamkeit

LESUNG In der Volksbühne trug Sophie Rois aus „Die Geschichte der 1002. Nacht“ vor, einem Roman des österreichischen Autors Joseph Roth

Die Bühne ist fast leer, nur ein Sofa und ein Tischchen stehen da, darauf Teekanne, Teetasse, Aschenbecher. Dahinter der Vorhang, unter dem blaues Licht hervorschimmert. Das Große Haus der Volksbühne ist ungefähr zur Hälfte gefüllt, das Publikum wartet auf Sophie Rois, die gleich aus dem Roman „Die Geschichte der 1002. Nacht“ von Joseph Roth lesen wird.

Joseph Roth starb 1939, der Roman erschien postum, darin bricht sich Roths große Sehnsucht nach dem untergegangenen Österreich-Ungarn Bahn. Es geht um den k.u.k. Rittmeister Alois Franz Baron von Taittinger, um seine Affären und dabei insbesondere um seine Liebelei mit der Ofensetzertochter Mizzi Schinagl. Die gebiert dem Rittmeister einen Sohn, wird abgefunden, muss sich prostituieren, wird dann aber von ihm doch wieder benutzt, um eine raffinierte Intrige zu spinnen, der er letztendlich selbst zum Opfer fällt. Während sich Roth um die Darstellung der inneren Nöte des recht stumpfen Barons bemüht, bleibt Mizzi, deren Naivität für die Handlung des Buches mindestens so bedeutend ist wie die Dummheit ihres adligen Liebhabers, unterbelichtet.

Sie scheint für Roth eben am Ende doch nur eine kleine kokette Maus zu sein, deren Gefühlswelt sich nicht wirklich entfaltet hat und deren Inneres sich nicht zu beschreiben lohnt. So ist sie auch diejenige, die nicht mit ihrem Schicksal hadert, während der Baron sich selbst tötet. Roth beschreibt Mizzi am Ende so: „Da es aber keineswegs in ihrer Natur lag, traurig zu bleiben, zwang sie sich mit fröhlicher Gewaltsamkeit, an die zweitausend Gulden zu denken, die sicher in der Postsparkasse lagen, und an das gute Geschäft, das sie mit dem ,Welt-Bioscop-Theater‘ machte. Sie war gesund, munter, manchmal auch ausgelassen. Sie gehörte zu jenen Frauen, die man ihrer knusprigen Fülle wegen ,resch‘ nennt. Und sie hielt manchmal Ausschau nach einem Mann.“ Kaum einen Satz widmet Roth dem Innenleben der Figur, schon kommt er wieder auf ihr Äußeres zu sprechen.

Zur Verteidigung Roths sei angemerkt, dass der Text postum erschienen ist, also weitgehend unlektoriert ist. Diesen Text nun las die große Sophie Rois, doch nicht in voller Länge. Clemens Schönborn hat den Text „eingerichtet“, was in diesem Fall heißt, er hat ihn erheblich gekürzt. Das Programmheft kündigte eine „geistvolle Kolportage über die Begegnung von aristokratischer Weltferne und prallem volkstümlichen Leben“ an. Die Kolportage hat Schönborn auch geliefert. Einige Elemente, die sich in seiner Kurzfassung noch fanden, beziehen sich jedoch auf Stellen in Roths Roman, die er gestrichen hatte, so dass etwa die Eingangsszene für die Zuschauer nur dekorativ war, während sie – mit dem von Schönborn weggekürzten vorletzten Romankapitel – für Roths Roman eine philosophische Klammer bildet. Das geistvolle und das pralle Leben waren aus dem Text – wenn je darin vorhanden – weitgehend entfernt.

So war der Text also, wie Baron von Taittinger sagen würde , „fad“. Die Lesung durch Rois war es nicht. Der Schauspielerin kam zu Hilfe, dass sie in Österreich geboren ist, also das Wienerisch-Melancholische in Roths Text gut herstellen konnte. Doch nicht nur das – steif auf dem Sofa sitzend, modulierte sie ihre Stimme kaum merklich, um den verschiedenen Situationen und Personen eigenes Gewicht zu verleihen, sie konnte schließlich auch flüsternd ihre Zuhörer an sich binden, um kurz vor Schluss in einem hinreißenden Schreianfall, der sie fast vom Sofa riss, einen kleinen österreichischen Oberst zu geben, der hässliche Nachrichten aus der Hauptstadt an einen Untergebenen weitergeben muss. Das war großartig. Leider war ihre Lesung stärker als der Text. Man hört sie lieber mit einem Stück, das ihrer Kunst angemessen ist. JÖRG SUNDERMEIER