Kopftuch im Jüdischen Museum

Eine palästinensische Hiphop-Sängerin aus dem Wedding erklärt Oberschülern, warum sie Kopftuch trägt. Die Begegnung ist Teil eines Seminars, das eine Ausstellung im Jüdischen Museum begleitet

Von Jan Sternberg

Mit ihrem Kopftuch erntet sie schiefe Blicke. Das gehört für die 27-jährige Sahira Awad zum Alltag. Dass aber auch die Farben des eng anliegenden Stücks Stoff zu Missverständnissen führen, ist der Sängerin neu. Zum Besuch im Jüdischen Museum hat die junge Frau, deren Eltern aus Palästina nach Berlin kamen, ein blau und weiß gestreiftes Tuch aufgesetzt. Das sind auch die Farben der israelischen Flagge. Eine Solidaritätsbekundung? Sahira ist einen Moment verunsichert, daran hatte sie nicht gedacht. „Natürlich nicht!“ Israels Politik finde sie „rassistisch“, deshalb sei sie auch „für Hisbollah und Hamas“, erzählt sie im Museum.

Museumspädagoge Hans von Seggern muss kurz schlucken, als Sahira diese Meinung vor einer Gruppe von Berliner und Brandenburger Oberschülern zum Besten gibt. Er hat Sahira ins Jüdische Museum geladen – als Referentin für Oberschüler aus Berlin und Brandenburg. Drei Tage lang, von Sonnabend bis gestern, beschäftigten sich 35 Schüler im Rahmen der Ausstellung „Heimat und Exil“ mit den Themen Flucht und Integration.

„Ich bin gegen jede Form von Gewalt“, sagt die junge Hiphopperin gleich im Anschluss. „Kriege kann ich nicht verstehen, da geht es wohl immer um zu viel Testosteron.“ Der Pädagoge kann aufatmen. Sahira trennt die Politik der israelischen Regierung strikt vom Judentum als Religion. „Moslems und Juden sind sich religiös so nah wie niemand sonst“, meint sie, mit ihrem Besuch im Jüdischen Museum möchte sie „ein Zeichen setzen“.

Zehn Schüler hören Sahira gebannt zu. Mit Tuch, Jeansbluse und Absatzschuhen erzählt sie lebendig und wortgewandt, wie sie mit Anfang 20 dazu kam, sich mit dem Koran zu beschäftigen. Anlass war der Schock des 11. September 2001. Sie habe gemerkt, dass sie eigentlich nichts über ihre Religion weiß. So begann sie zu lesen. „Zum Glück habe ich nichts gefunden im Koran, wo steht, wir führen jetzt Krieg gegen alle Menschen.“

Zum Kopftuch, das sie lieber „Haartuch“ nennt, war es kein großer Schritt. „Es ist wie ein Zaubertuch für mich“, erklärt Sahira, „man fühlt sich geschützt, auch vor dem eigenen Ego, vor der Wirkung, die man auf Männer haben kann.“ Über das Tuch rappt sie auf ihrer selbst produzierten CD „Frei Schnauze“. „Ick versteh nich, warum die dit so mag, dit Tuch in ihrem Haar“, berlinert sie und gibt gleich die Antwort: „Bloß mein Mann sieht mich ganz so wie ich bin / weil ich ich ich’s so will.“

Einen Mann hat Sahira zurzeit nicht, aber einen Sohn. Er ist sechseinhalb, wohnt bei ihr in Wedding und ist gerade in die zweite Klasse gekommen. Eine alleinerziehende Muslima – für Sahira ist das normal. Genauso normal, wie ihr eigenes Musiklabel „Imanimusic“ zu haben (Imani heißt Glaube) und dieses Jahr ihr erstes professionell produziertes Soloalbum auf den Markt zu bringen. So ist halt ihr Leben.

Die Schüler, die auf Einladung des Jüdischen Museums und der Hertie-Stiftung das Wochenende im Seminar verbracht haben, sind zumeist Ethnodeutsche von bürgerlichen Schulen. Mädchen mit Kopftuch gibt es in ihren Klassen nicht, sagen Josefine Richter aus Potsdam, Helena Rönsch aus Marzahn und Felix Christl aus Charlottenburg. Eine wie Sahira haben sie noch nie kennengelernt. „Ich finde es gut, wie du da sitzt, offen und tolerant“, lobt Josefine.

Einer der wenigen Migranten in der Gruppe ist Artem Jurtschenko. Der 19-Jährige kommt aus Russland und geht in Kreuzberg auf die Carl-von-Ossietzky-Schule. Er hat arabische Freunde und erzählt auch, was ihm Negatives aufgefallen ist. Antisemitische Sprüche, Paschatum in den Familien. Der junge Mann mit den Hiphopper-Klamotten stellt Sahira deshalb besonders kritische Fragen. „Viele winden sich heraus, wenn es an die Substanz geht“, sagt er. Ob Frauen, die viel Haut zeigen, weniger Ehre hätten, will er von ihr wissen. „Um Gottes willen, nein!“ antwortet Sahira. Artem ist zufrieden: „Sie hat sich für ihre Religion entschieden“, sagt er, „aber sie akzeptiert auch andere.“

Artem gehört zu den wenigen Teilnehmern des Seminars, die sofort die Verbindung zwischen der historischen Ausstellung über das jüdische Exil und den aktuellen Fragen ziehen. Vielleicht liegt es daran, dass er selber von Abschiebung bedroht war. Nur wegen sehr guter Leistungen in der Schule in Berlin durfte er bleiben. Von der Hertie-Stiftung bekommt er jetzt das „Start“-Stipendium für begabte Zuwandererkinder. „Was zurzeit weltweit abläuft, ist wie ein Dritter Weltkrieg in Zeitlupe“, sagt Artem. „Wenn Muslime, Juden und Christen nicht zueinander finden, haben sie keine Chance.“

Zum Schluss des Seminar stand gestern Abend noch ein Treffen mit Maria Böhmer auf dem Programm. Artem hat sich auf das Gespräch mit der Integrationsbeauftragen der Bundesregierung gefreut. „Die Programme für Zuwanderer an Schulen sollten bekannter werden“, wollte er ihr sagen. „Sie bringen sehr viel Nutzen und geben Migrantenkindern neue Perspektiven.“ Von dem „Start“-Stipendium habe er allerdings nur durch das Engagement seines Mathematiklehrers erfahren.