Augen zu und durch !

Die Vergangenheit ist Geschichte, aber die Zukunft war auch schon mal schöner – zumindest in den Medien mutiert die Glaskugel der Zukunftsforscher derzeit zum Kaleidoskop der Ängste

VON ROMAN SCHMIDSEDER

Die Zukunftsforschung hat Konjunktur. Kein Tag vergeht ohne großspurige Medienrezension von Klima, Demografie, Wertewandel und Ressourcenknappheit. Der Klimakollaps ist wegen des warmen Winters Topthema über Weihnachten und Neujahr. Gleichzeitig wird kräftig die Angst vor Energieknappheit geschürt. Wird’s doch wieder mal kalt, ist das russische Erdgasproblem gleich zur Stelle. Das ZDF beschwört heute den „Aufstand der Alten“ im Jahr 2030. Dem Spielfilm, offiziell eine „Doku-Fiction“, gibt das ZDF den Schein einer realistischen Zukunftsvorhersage, in der sozial abgedriftete Alte in Ghettos leben und bitter Rache nehmen.

Ein paar Jahre später, orakelt die B.Z., nämlich 2045, droht neues Ungemach: Die Muslime übernehmen Deutschland, die Hälfte der Einwohner gehöre dann dem Islam an, meint die Zeitung völlig ernsthaft. Angela Merkel und Kurt Beck im konservativen Islam-Outfit illustrieren die Geschichte. Während Europa also „Teil des arabischen Westens“ wird (Islamwissenschaftler Bernhard Lewis in der B.Z.), steigt der Ferne Osten unaufhaltsam zum Weltführer auf. Die Angst vor China macht die Deutschen nicht froh, spätestens seit sie die Bedrohungsszenarien vom roten Wirtschaftsungeheuer regelmäßig im Spiegel lesen müssen. „Funktioniert der Kommunismus doch?“, fragt das Blatt und wischt den Angstschweiß von der Stirn. Die Online-Ausgabe der Zeitschrift überschlägt sich derzeit mit Prognosen für 2067: Sie handeln von „Matriarchats-Opfern“, dem „Bullshit-Faktor“ im TV und dem Menschen als „Vorstufe des Cyborg“.

Der Berliner Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller kann sich derzeit über Nachfrage nicht beklagen. Unternehmen investieren wieder in seine Zunft. Die Konjunktur von Zukunftsdeutern hat seiner Einschätzung nach viel mit der Gesamtkonjunktur zu tun. Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Deutern gut. Die großen Diskussionen über Ressourcenknappheit, Klimawandel und demografische Veränderung sind für ihn aber „keine Zukunftsthemen mehr“, sondern schon längst in der Gegenwart angekommen. Genauso der sogenannte Shift to Asia, die geostrategische und wirtschaftliche Machtverschiebung Richtung Indien und China. Daneben erfahren Umwelt und Ressourcenverteilung einige Probleme, auch die Lebensstile sind massiven Veränderungen unterworfen. Unternehmen, so Steinmüller, interessieren sich aber vor allem für die kommenden 10, 15 Jahre. Hier sind die Prognosen sicherer und seriöser.

Die Zukunftsforschung ist ein Kind der Nachkriegszeit: Damals zerbrachen sich die Militärstrategen den Kopf über Szenarien von zukünftigen Konflikten. Die Opfer dieser boomenden Disziplin sind Science-Fiction und Geschichtswissenschaft. Historiker, die „rückwärtsgewandten Propheten“ (Friedrich Schlegel), sind mit ihrem Credo, jedes zukünftige Handeln solle durch den Blick in die eigene Geschichte beeinflusst sein, oft alleine. Technikaffine und sozialkritische Science-Fiction-Literaten wie Jules Verne, H. G. Welles, Aldous Huxley oder George Orwell zeichneten Bilder der Zukunft, die über Jahrzehnte die Gesellschaft beeinflussten.

Dabei hätten Literatur und Geschichte auch heute noch so einiges zu erzählen: etwa über die Verschiebung von Machtzentren, die Bevölkerungsentwicklung oder den Wertewandel, das Risiko eines Machbarkeitswahns oder die Gefahren autoritärer Strukturen.