TROTZ GERICHTSURTEIL: DAS BAYRISCHE „KOPFTUCH-GESETZ“ IST LIBERAL
: Offen für religiösen Pluralismus

Das Urteil des bayerischen Verfassungsgerichts bringt jedem etwas. Die bayerische Landesregierung sieht ihr „Kopftuchverbot“ bestätigt, weil die umstrittene Bestimmung des Schulgesetzes nicht gegen die Landesverfassung verstößt. Und die klagende Islamgemeinschaft betont, dass die Richter offen gelassen haben, ob mit diesem Gesetz ein Kopftuchverbot überhaupt zu machen wäre. Was aber wäre, wenn tatsächlich eine bayerisch-muslimische Lehrerin mit Kopftuch unterrichten wollte und dafür vor Gericht zöge?

Zunächst ist festzustellen: Das bayerische „Kopftuchverbot“ ist das liberalste der Republik. Denn grundsätzlich ist religiöse Kleidung in Bayerns Schulen erlaubt. Hier wird die Neutralitätspflicht des Staates nicht auf den einzelnen Lehrer übertragen: Nur Kleidung, die von Eltern und Schülern als Ausdruck einer verfassungswidrigen Haltung verstanden werden kann, ist verboten.

Nun gibt es viele Vorurteile gegenüber Kopftuchträgerinnen und man wird immer jemand finden, der einer Frau mit Kopftuch die schlimmsten Absichten unterstellt. Da ist es gut, dass die bayerischen Verfassungsrichter gestern festgestellt haben, dass es nicht auf die Gedanken eines vorurteilsbeladenen Betrachters ankommen kann, sondern auf „verständige“ Eltern und Schüler. Das ermöglicht immerhin einen rationalen Diskurs.

Nun kann man zum Kopftuch natürlich verschiedener Meinung sein, und es ist sicher auch ein Symbol für ein Verständnis der Geschlechterrollen, bei dem die Frau eher schlecht wegkommt. Ein Symbol für die „Unterdrückung“ der Frau ist es aber dann sicher nicht, wenn es von einer Lehrerin im Unterricht getragen wird – schließlich zeigt diese ja gerade, dass sie sich von archaischen Rollenvorstellungen emanzipiert. Sie hat studiert, einen akademischen Beruf ergriffen und steht mitten im Leben: Wer hier nur die unterdrückte Frau sieht, ist kein „verständiger“ Betrachter im Sinne des bayerischen Verfassungsgerichts.

Kopftuchgegner, die sich über das gestrige Urteil schon gefreut haben, haben das vielleicht zu früh getan. CHRISTIAN RATH