Logenplatz über der Weltbühne

über die ideale Wohnung für eine Revolution

NORA MBAGATHI

Ich habe einen Logenplatz. Von einem großen Balkon mit Blick auf den Tahrir-Platz schaue ich auf die Menschenmassen, die sich unten versammeln. Mit mir stehen noch viele andere hier, von denen manche seit über einer Woche in der Wohnung übernachten, die zu diesem Balkon gehört. Andere gehen hier wie ich täglich ein und aus.

Die Wohnung ist ideal für diese Revolution. Sie ist riesig, und mit ihren verwinkelten Fluren und Zimmern gibt es immer wieder Neues zu entdecken. „Der Innenarchitekt muss gefeuert werden“, sagt Nada, während ich über zerbrochene Thai-Statuen, angeklebte Vorhänge, chinesische Lampen und Jesus-Bilder, über deren Schönheit sich in der Tat streiten lässt, staune. Ich lache. Einen Innenarchitekten hat diese Wohnung sicher nie gesehen. Sie ist ein buntes Gemisch aus allen möglichen Kulturen, Epochen und Geschmacksrichtungen. Über den Besitzer weiß ich nichts, ich habe ihn erst jetzt kennen gelernt. In diesen Tagen spielt das keine Rolle.

Von hier aus gehen immer wieder Leute nach unten, um Essen, Früchte oder Tee an die Menschen auf dem Platz zu verteilen. Der Besitzer hat sein Internet frei zugänglich gemacht, so dass sich außer Facebook-Jugendlichen und deren Elterngeneration auch einige Journalisten in der Wohnung ausruhen oder versuchen zu arbeiten. In einem Zimmer laufen auf einem Fernseher Tag und Nacht die Nachrichten.

„Mach unbedingt die Tür hinter dir zu“, ruft mir jemand nach, als ich wieder ein neues Zimmer entdecke, „sonst kommen die Hunde raus.“ Und schon springen mir zwei kleine, sehr laut bellende Wollknäuel entgegen. Doch nicht nur Hunde und Menschen – auch mehrere Katzen und ein etwas trauriger Fisch in einem trüben Glas erhaschen hier einen Blick hinter die Kulissen der Revolution.

Am Abend sitze ich mit einigen Freunden und vielen Fremden auf einem anderen Balkon. Ein Joint geht herum, und von unten hört man die Protestrufe der Demonstranten. Man diskutiert über Ägyptens Zukunft, die politischen Akteure, den internationalen Effekt der Proteste und den hohen Anteil an ungewöhnlich gut aussehenden Soldaten um den Tahrir-Platz. So laufen also Revolutionen?