Fußball für alle

Jetzt, da Deutschland im Halbfinale ist, wollen plötzlich auch die Fußballfaulen Fußball gucken, und zwar unter vielen. Aber wo? Beim Public Viewing? Nein, denn – da ist man sich sicher – hier dient der Fußball nur als Vorwand, damit Deutschland-Deppen die Patriotistensau rauslassen können. Hier werden Fahnen geschwenkt und rassistische Beleidigungen gebrüllt.

Dieses Urteil ist vorschnell und etwas überheblich – viele Public Viewings sind besser als ihr Ruf. Zum Beispiel in Kreuzberg. Auch in Bars mit überwiegend Deutschen trägt kaum jemand Schwarz-Rot-Gold. Man jubelt, ja, wenn die deutsche Mannschaft ein Tor schießt, aber die Freude ist entspannt, nicht prahlerisch.

Fußball ist nur dann chauvinistisch, wenn man ihn so deutet. Die Weltmeisterschaft aufzugeben, weil Fußballfans schon rassistische Überfälle verübten, hieße, sich dieser Vereinnahmung zu beugen. Vielerorts ist man da weiter. Wenn in einer Bar Türken, Deutsche, Spanier und Kolumbianer gemeinsam stöhnen und jubeln, dann merkt man, was Fußball kann. Eine gemeinschaftliche Identität schaffen, die den Einzelnen verortet und gerade dadurch Offenheit möglich macht. Da kann man für Deutschland sein – oder eben nicht. Wie neulich: Als ich einer spanischen Freundin vorschlug, ins Kino zu gehen, schrieb die fast empört zurück: „Das soll jetzt nicht komisch klingen, aber Deutschland spielt heute. Ich bin Fußball gucken.“ JULIA LEY