NOTAUFNAHME
: Der erste Gips

Ich hätte wohl Grill und Bier mitbringen sollen

Auf die Hand gefallen. In der Notaufnahme im Humboldt lauter Leute, die mürrisch in Zeitschriften starren. Mein halblautes „Guten Tag“ echot wohl noch jetzt unbeantwortet durch die Krankenhausgänge.

Dann, am Empfang, ein freundlicher junger Mann, der fragt, was denn passiert sei. Aha, auf die Hand gefallen. Freundliche Nachfrage meinerseits, wie lang mein Aufenthalt hier wohl dauern werde. „Also wenn Sie heute noch ins Kino wollten, die Abendvorstellung könnte knapp werden.“ Blick auf die Uhr: 12:30. Ich hab nur Frischs Berliner Journal dabei. Ich hätte wohl Grill und Bier mitbringen sollen.

Überraschenderweise werde ich nach zehn Minuten bereits zur Schwester gerufen; washabensiedenn – aufdiehandgefallen – nehmensemalplatz, daswernwerröntgen. Im cremig gestrichenen Flur hängt eine Fotografie, einsfuffzig hoch, einen Meter breit, darauf: ein lang gezogener Steg, der in der Bildmitte plötzlich abbricht, dahinter Meer, diffuses Abendlicht. Ein moderner Caspar David Friedrich per Instagram, nicht zu verkennende Symbolik. Die haben ein Bild über Todessehnsucht in den Warteraum der Notaufnahme gehängt, ich hoffe, das war Absicht.

Nach dem Röntgen kommt die Ärztin mit den Bildern. „Herr Valin?“ Ich zeige auf. „Ja, nun, das Handgelenk ist kaputt.“ – „Wie, kaputt?“ – Kurzes abwesendes Nicken, Perspektive sechs Wochen Gips. „Gehen Sie mal mit dem Pfleger mit, der macht Ihnen den.“ Am Ende des Flurs winkt ein Mann mit Bart. Ich winke zurück, und rufe, um irgendwas zu sagen: „Das ist mein erster Gips!“ Er mustert mich kurz und lächelt: „Würde es Sie beruhigen, wenn ich sagen würde, meiner auch?“

Nach anderthalb Stunden wieder draußen, keine drei Minuten vor der Tür, schon fängt am Unterarm das Jucken an. Ich gehe Stricknadeln kaufen.

FRÉDÉRIC VALIN