Vielfältige Finnen

FINNEN-FESTIVAL Von Kunst bis Kauzigkeit: Beim „Rantakala“-Festival präsentieren 44 MusikerInnen in zehn Konzerten auf Kampnagel und St. Pauli die Musikszene Finnlands

Näher wird man der Seele der finnischen Musik so schnell nicht wieder kommen

VON ROBERT MATTHIES

Viel gibt die südfinnische Stadt Turku auf den ersten Blick nicht her: eine abgewirtschaftete Werft, einen Dom, eine Burg, einen Fluss, einen eher tristen zentralen Platz und ein paar nicht gerade eindrucksvolle Straßen. Trotzdem darf sich das Städtchen mit nicht mehr als 180.000 Einwohnern gemeinsam mit dem estnischen Tallinn dieses Jahr europäische Kulturhauptstadt nennen. Und geht auch damit unaufgeregt und gerade deshalb bahnbrechend um: keine Leuchtturm-Philharmonien hat man hier deshalb gebaut, sondern alles in Menschen investiert, die Kultur machen.

Zum Beispiel in Kimmo Pohjonen, dessen dramatisches Akkordeon-Kampfsport-Spektakel „Accordion Wrestling“ einer der Höhepunkte des Turkuer Kulturjahres ist. Der studierte Akkordeon-Virtuose ist schon länger für seine Stile- und Medien-übergreifenden Hochenergie-Akkordeon-Experimente bekannt, treibt nicht nur klanglich sein Instrument über alle bislang bekannten Grenzen hinaus und lässt dabei schon mal mit mehr als 100 Akkordeonbälgen jonglieren, sondern hat sein Akkordeon mit Volksmusik, Jazz und Techno schon ebenso überzeugend auf der Bühne zusammengebracht wie mit Bauern, Traktoren und Schweinen.

Mit „Accordion Wrestling“ belebt Pohjonen nun eine alte, in Vergessenheit geratene finnische Tradition neu: Ringkämpfe mit Akkordeonmusik zu begleiten – besser lassen sich die unvermeidlichen Flatulenzen der Ringenden nämlich nicht übertönen. Aber nicht nur acht Ring-, Budo-, Ultimate Fighting- und Kickbox-Kämpfer, Kompositionen und jede Menge Luft bringt er dafür zusammen mit dem Choreographen Ari Numminen und dem Lichtdesigner Mikki Kunttu auf die Bühne. Auch Licht, Wasser und Feuer hat Pohjonen nicht vergessen. Damit alle nach der eindrucksvollen Performance wissen, was „Naturgewalt“ tatsächlich bedeutet.

Zu sehen ist Pohjonens Performance im Rahmen von „Rantakala – Das Finnenfestival“. Das präsentiert ab heute eine Woche lang in Clubs und Theatern auf St. Pauli und auf Kampnagel mit zehn Konzerten und insgesamt 44 finnischen MusikerInnen einen beeindruckenden Querschnitt der ebenso vielfältigen wie bisweilen kauzigen Musikszene des Landes im Norden.

Letztere Eigenschaft finnischen Musikschaffens repräsentiert dabei wohl derzeit niemand besser als Tausendsassa Jimi Tenor. Der umtriebige Saxophonist, Komponist und Klang-Programmierer, der von Techno über radikale Steve Reich-, Oliver Messiaen- und Erik Satie-Remixes bis zum Afro-Beat so ziemlich jedes musikalische Gebiet einmal beackert hat, ist deshalb nicht nur gleich dreimal zu hören, sondern hat gleich die ganze Konzertreihe mitgestaltet.

Die erschöpft sich nicht zuletzt deshalb auch nicht bloß in einer Aneinanderreihung von Konzerten verschiedener Künstler, sondern präsentiert einzigartige Kollaborationen, in denen Tradition auf Gegenwart und Jazz auf Volksmusik oder Klassik trifft: Jimi Tenor ist einmal mit einem Groove-Allstar-Team unter anderem mit Jazzgitarrist Kalle Kalima zu hören, der wiederum spielt später gemeinsam mit der NDR Bigband. Violin-Virtuose Pekka Kuusisto spielt einmal Klassik mit dem Hamburger Ensemble Resonanz, dann wieder mit Jimi Tenor in einer „Electronic Night Session“ gemeinsam mit DJ Desto. Und beide gemeinsam sind schließlich mit dem „UMO Jazz Orchestra“ und Drummer Tony Allen zu hören. Näher wird man in dieser Stadt der Seele der finnischen Musik so schnell nicht wieder kommen.

■ Sa, 12. 2. bis Sa, 19. 2., diverse Orte; Programm unter www.elbphilharmonie.de