„Die Kinoszene kannst du vergessen“

OFF-KINO Die Konkurrenz durch die Yorck-Kinos ist zu mächtig, das Heimkino zu stark. Nach 25 Jahren Eiszeit-Kino ist nun Schluss: Suzan Beermann wird Erzieherin. Ihrem Nachfolger als Geschäftsführer wünscht sie viel Glück

■ Suzan Beermann, geb. 1956, wuchs in Brasilien und Mannheim als Kind jüdischer Emigranten auf. Nach Berlin kam sie 1980 und machte zunächst eine Ausbildung zur Erzieherin. Das Eiszeit-Kino in der Zeughofstraße entstand 1981 aus der Hausbesetzerszene heraus. Zu den Gründern gehörten Jürgen Brüning, der später das Pornfilmfest ins Leben rief, und Heinz Hermanns, der heutige Leiter des Kurzfilmfestivals und -vertriebs Interfilm. Beermann war seit 1988 im Eiszeit tätig, zunächst als Aushilfe, seit 2004 als alleinige Chefin.

INTERVIEW FRÉDÉRIC JAEGER

taz: Frau Beermann, das Kreuzberger Eiszeit-Kino, das war viele Jahre das Kino von Suzan Beermann. Im Mai haben Sie nun nach 25 Jahren dort aufgehört. Wie ist es dazu gekommen?

Suzan Beermann: Ich habe schon seit der letzten Fußballeuropameisterschaft 2012 keine Lust mehr gehabt. Da saß ich an unheimlich vielen Abenden allein im Kino. Und du musst ja trotzdem die Miete und deine Angestellten bezahlen. Und so ein Kino kann im Winter keinen Speck anfressen. Das hält vielleicht einen Monat oder zwei, aber nicht den ganzen Sommer. Ich glaube, du kannst die Kinoszene vergessen. Ich habe es mir aber schwer gemacht. Zwei Jahre habe ich darüber nachgedacht.

Was heißt das für die Zukunft der Programmkinos?

Allgemeiner weiß ich das nicht. Ich bin froh, die richtigen Leute gefunden zu haben, die das Eiszeit-Kino weiterbetreiben wollen, gleichzeitig ist es natürlich ein Schmerz im Herzen. Rainer Krisp, der neue Geschäftsführer, ist sogar älter als ich, er ist noch von der alten Schule. Er kommt aus Hamburg vom Kino 3001; die waren zwar immer so ähnlich wie das Eiszeit, aber in Hamburg gibt es nicht noch 30 weitere angeblich alternative Kinos.

Sie spielen auf die Yorck-Kinos an?

Ja. Wie oft, wenn ich Kasse gemacht habe, wurde ich gefragt, ob wir zur Yorck-Kinogruppe gehören, weil sie dafür Stempelkarten haben. Dann musste ich immer wieder herunterbeten, dass wir nicht dazugehören, weil wir ein unabhängiges Kino sind. Die Leute denken, die Yorck-Kinos sind doch auch Off-Kinos, weil sie sie als Alternative zum Multiplex sehen. Und wir gehören dann irgendwie dazu, als Unterabteilung, noch schräger, aber das sind wir halt nicht.

In den Anfängen war das Eiszeit ein Gemeinschaftsprojekt. Wie hat das begonnen?

Als ich 1990 richtig eingestiegen bin, waren wir fünf Gesellschafter, neben mir waren Andreas Wildfang, Hans Habiger, Andreas Döhler und Wolfgang Huber. Später haben wir auch noch das Central in Mitte gebaut, das Xenon in Schöneberg übernommen und das Freiluftkino Kreuzberg betrieben. Meistens war ich die, die sich ums Eiszeit gekümmert hat, und deswegen ist das auch bei mir geblieben, als wir uns 2004 getrennt haben. Döhler hat das Central übernommen, Wildfang und Habiger haben die EYZ Media gegründet, die heute das Video-on-Demand-Portal Realeyz.tv betreibt.

Wie haben Sie sich in den Anfängen eingebracht?

Ich war natürlich wie immer als einzige Frau dafür, ausgewählte Kinder- und Jugendprogramme zu zeigen. Das hab ich schnell begonnen, und das war ziemlich erfolgreich. Damals war es noch nicht so üblich, zu bestimmten Themen Programme zu schnüren und sie durch verschiedene Kinos zu schicken. Zuerst habe ich das zur Berliner Geschichte gemacht, weil die Mauer gerade runtergekommen war. Dann habe ich das heutige Cinéfête mitgegründet und das Britische Filmfest. Und hab das dann schon deutschlandweit gemacht.

Gab es im Eiszeit eine gemeinsame politische Linie?

Ich glaube, die einzige Linie war eigentlich, möglichst nicht so zu sein wie die anderen. Früher war das vielleicht schon politisch. Als etwa die Kampagne „PorNO“ von Alice Schwarzer gegen Pornografie angesagt war, haben wir natürlich Pornos gezeigt. Wir wollten immer gerne schocken und Grenzen überschreiten. Dafür haben sie auch unseren 16-mm-Projektor kaputt geschlagen und den Film in kleine Stücke gehackt.

Hat sich bei Ihnen durch die Digitalisierung viel geändert?

Der große Bruch war das Aufkommen des Heimkinos. Früher konnte man noch in den Kisten wühlen und nach außergewöhnlichen Sachen suchen. Als um 2004 auch auf einmal alle Schülerläden DVDs hatten, ist von einem Tag zum anderen keiner mehr ins Kinderkino gekommen. Ansonsten ist es wie immer: Wir kriegen Filme, die im Verleih sind, aber immer nur die, die die Geschäftsführung der Yorck-Gruppe nicht will. Früher war die Propaganda der AG Kino, des Verbands der Filmkunsttheater, mit der Digitalisierung kann dann jeder jeden Film zeigen, weil mehr Kopien verfügbar sind.

Gibt es nun nicht genügend Kopien?

Doch, gerade jetzt, mit den digitalen Formaten. Aber wenn wir den gleichen Film haben wollen, sagen mir die Verleiher: Wir können euch die Kopie nicht geben. Die Yorck-Gruppe hat so viele Kinos, da kannst du nicht gegen angehen. Es ist schlicht Marktbeherrschung, was da betrieben wird. Das ist mit der Digitalisierung noch schlimmer geworden, denn jetzt kann die Yorck-Gruppe natürlich noch mehr Filme zeigen. Bei kleinen Filmen kann das auch nur eine Vorführung sonntags um 11 Uhr sein, dafür aber im International, wo es über 500 Plätze gibt.

Wir wollten immer gerne schocken und Grenzen überschreiten

Könnte man etwas gegen die Konkurrenzsituation der Kinos untereinander unternehmen?

Es gibt jetzt die Zeitschrift Indiekino, für die sich unabhängige Kinos in Berlin zusammengeschlossen haben. Man könnte auch noch eine lange Nacht der Indie-Kinos organisieren und einen Shuttle zwischen den Kinos oder solche Spielereien.

Der Ansatz von Iris Praefke und Wulf Sörgel im Moviemento und seit Kurzem auch im Central ist, mehr Events und Filmfestivals zu organisieren. Das Kino als Ort der Zusammenkunft?

Das wird sich, wenn alles klappt, im Eiszeit auch so etablieren. Dort soll es künftig ein großes Foyer geben und drei Säle. Ich wünsche es dem Kino.

Jetzt kehren Sie zu Ihrem alten Beruf zurück und werden wieder Erzieherin?

Ja, aber das ist schon okay. Der Träger, bei dem ich als Erzieherin jetzt anfange, der stellt vor allem Leute an, die schon jahrelang etwas anderes gemacht haben. Das ist ein tolles Motto. Denn diese Leute können den Kindern etwas anderes vermitteln. Der Träger hat seine Büros gleich um die Ecke vom Kino. Die hatten vermutlich das Eiszeit immer im Blick.